August 2015

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Neue Antipsychotika sind wirksamer als Medikamente der alten Generation

Antipsychotika gibt es seit mehr als 60 Jahren. Häufig ist unklar, welches Präparat für wen am besten geeignet ist. Eine klinische Studie der Universität Bremen belegte, dass eine neue Gruppe von Antipsychotika den älteren Präparaten grundsätzlich überlegen ist.

Um die individuelle Krankheitsgeschichte von Schizophrenie-Patienten bei der Medikamentenwahl zu berücksichtigen, sind intensive Gespräche nötig.

Um die individuelle Krankheitsgeschichte von Schizophrenie-Patienten bei der Medikamentenwahl zu berücksichtigen, sind intensive Gespräche nötig.

Thinkstock alexsokolov

John Forbes Nash war Mathematiker und Träger des Wirtschaftsnobelpreises. Seine Lebensgeschichte wurde 2001 durch den Hollywood Spielfilm „A Beautiful Mind“ weltweit bekannt. Der Film zeigte eindrucksvoll, dass Nashs Leben neben seinen wissenschaftlichen Erfolgen auch von großer Tragik geprägt war – wegen seiner Erkrankung. Nash litt an Schizophrenie.

Antipsychotika helfen bei Schizophrenie

Damit gehörte Nash zu dem gut einen Prozent der Menschen weltweit, die im Laufe ihres Lebens an Schizophrenie erkranken. Trotz dieser – im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen – relativ geringen Erkrankungsrate verursacht die Schizophrenie signifikante gesellschaftliche Kosten, die vergleichbar mit Volkskrankheiten wie etwa Diabetes sind. Für die Betroffenen bedeutet die Erkrankung immer ein hohes persönliches Leid. Es ist daher enorm wichtig, eine diagnostizierte Schizophrenie effektiv und schnell zu behandeln. Die gute Nachricht ist: Es gibt zugelassene Medikamente, sogenannte Antipsychotika, mit denen dies möglich ist.

Antipsychotika werden grob in zwei Gruppen eingeteilt. Die konventionellen Antipsychotika wurden bereits in den 1950er-Jahren entwickelt. Zu ihnen gehört unter anderem der Wirkstoff Haloperidol. Ab den 1970er-Jahren wurde dann eine zweite Generation von Antipsychotika entwickelt. Die neue Generation, darunter beispielsweise die Wirkstoffe Clozapin und Olanzapin, gilt als wirksamer und besser verträglich. Bekannt ist, dass alle Antipsychotika in den Stoffwechsel von Botenstoffen des Gehirns eingreifen, vor allem in denjenigen von Dopamin, das umgangssprachlich häufig als Glückshormon bezeichnet wird. Die genauen Wirkmechanismen sind jedoch bislang nicht vollständig aufgeklärt. Man geht jedoch davon aus, dass die Vertreter der zweiten Generation der Antipsychotika andere Wirkspezifitäten aufweisen als die sehr breit wirkenden Vertreter der ersten Generation.

Alt gegen neu: Eine Studie macht den Vergleich

Deutsche Psychiaterinnen und Psychiater bevorzugen überwiegend die neueren Medikamente. Die Meinungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen jedoch auseinander, ob diese auch wirklich überlegen sind. Gleichzeitig ist bekannt, dass alle bislang zugelassenen Antipsychotika Nebenwirkungen haben. Für die Bremer Professoren Jürgen Timm und Eckart Rüther war das Grund genug, die beiden Substanzklassen einem direkten klinischen Vergleich zu unterziehen. Timm erläutert den Ansatz: „Unsere Studie sollte eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung ermöglichen. Gleichzeitig war uns wichtig, dass wir neben der ärztlichen Beurteilung zur Wirkung und Nebenwirkung der Medikamente auch einen Fokus auf die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten legen.“ Zugleich sollte die Studie strengste wissenschaftliche und ethische Kriterien erfüllen. Besonders schwierig war hierbei, dass Schizophrenie in der klinischen Praxis ein sehr heterogenes Krankheitsbild darstellt. „Jeder Betroffene hat eine individuelle Krankheitsgeschichte, und auch die Ausprägung der Erkrankung ist bei jedem Einzelnen sehr unterschiedlich. Dies wollten wir in unserer Studie berücksichtigen. Denn die bisherigen Studien basierten fast immer auf standardisierten Laborsituationen. Deren Aussagekraft für die Praxis und für den individuellen Krankheitsfall ist aber beschränkt“, erläutert Rüther.

Krankheitsgeschichte beeinflusst die Behandlung

Für dieses vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt wurde daher ein eigenes, neues Studiendesign entwickelt. Das Ziel war, zwei therapeutische Strategien miteinander zu vergleichen – nicht bloß einzelne Medikamente. Gleichzeitig sollte die Studienpopulation, also die teilnehmenden Patientinnen und Patienten, ein möglichst praxisnahes Abbild der betroffenen Bevölkerung widerspiegeln. Der wesentliche Unterschied zu früheren Studien lag jedoch im Design der Behandlung, erklärt Rüther: „Das Besondere war, dass die behandelnden Psychiaterinnen und Psychiater die Medikation jedes Teilnehmenden teilweise mitbestimmen konnten. Traditionell wird diese Entscheidung ausschließlich durch einen Zufallsgenerator gefällt. In unserer Studie konnte die Behandlungsstrategie jedoch individuell beeinflusst werden, beispielsweise mit Blick auf die jeweilige Krankheitsgeschichte der Patientinnen und Patienten.“

Neue Antipsychotika sind überlegen

Bei der Behandlung der Schizophrenie war bislang nicht wissenschaftlich belegt, welches Antipsychotikum für welchen Betroffenen am besten geeignet ist. Jetzt ist klar: Eine neue Gruppe von Antipsychotika ist den älteren Präparaten überlegen.

Bei der Behandlung der Schizophrenie war bislang nicht wissenschaftlich belegt, welches Antipsychotikum für welchen Betroffenen am besten geeignet ist. Jetzt ist klar: Eine neue Gruppe von Antipsychotika ist den älteren Präparaten überlegen.

Thinkstock - Ingram Publishing

Das neue Studiendesign musste dabei mit den geltenden Regularien für klinische Studien in Einklang gebracht werden. Nur so konnten höchste wissenschaftliche Qualitätsstandards eingehalten werden. Dies allein wäre prinzipiell schon Aufgabe genug gewesen, aber im Kern ging es ja um eine klinische Fragestellung. „Auch mit Blick auf unsere Ausgangsfrage‚ welche Medikation bei der Behandlung schizophrener Patientinnen und Patienten überlegen ist, konnten wir eindeutige Ergebnisse erzielen“, erläutert Timm. „Tatsächlich sind die neueren Antipsychotika den älteren Substanzen überlegen. Auch aus der Sicht der Betroffenen. Die neueren Antipsychotika verbesserten ihre Lebensqualität signifikant. Die ärztliche Beurteilung deutet in die gleiche Richtung.“

Interessante Einblicke liefern auch zusätzliche Analysen der Studie. So brachen Studienteilnehmende, die mit den älteren Medikamenten therapiert wurden, die Behandlung häufiger ab. Gleichzeitig zeigten sich bei diesen Personen mehr unerwünschte Nebenwirkungen. Letztere haben aber auch die neueren Medikamente – die Gewichtszunahme der Patientinnen und Patienten etwa war hier erhöht. „Dennoch geben wir den neueren Medikamenten eindeutig den Vorzug“, resümieren Timm und Rüther.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Timm
Kompetenzzentrum für Klinische Studien
Universitätsklinikum Bremen
Linzer Straße 4
28359 Bremen
0421 218-63797
0421 218-63799
timm@math.uni-bremen.de