12.12.2022

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Neue Hemmstoffe: Aptamere könnten SARS-CoV-2-Infektionen verhindern

Ein Wirkstoff namens SP6 könnte neue Wege bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2 eröffnen. Das sogenannte Aptamer nutzt einen anderen Mechanismus als bereits bekannte Hemmstoffe, um sich an den Erreger zu binden und könnte auch gegen Virusmutanten helfen.

Dreidimensionale Darstellung des Coronavirus SARS-CoV-2

Künstlich hergestellte Aptamere können das „Andocken“ von SARS-CoV-2-Erregern an ihre Zielzellen zwar nicht verhindern, möglicherweise aber deren Eindringen und Vermehrung.

sdecoret / Adobe 

Forschende am Limes-Institut der Universität Bonn und am Forschungszentrum caesar in Bonn haben einen Wirkstoff identifiziert, der SARS-CoV-2-Viren daran hindert, in menschliche Zellen einzudringen und diese so umzuprogrammieren, dass die Viren sich darin vermehren können.

Dieser Wirkstoff gehört zur Gruppe der Aptamere, d. h. es handelt sich um kurze, einzelsträngige DNA- oder RNA-Moleküle, die künstlich hergestellt bzw. chemisch synthetisiert werden. Ihre Besonderheit ist, dass sie mittels ihrer 3D-Struktur an ein spezifisches Molekül binden können. Dabei hängt die Bindung von der Sequenz der Nukleinsäurepolymere ab, so dass sich für viele Zielmoleküle ein dazu passendes Aptamer findet. „Das macht Aptamere für die Wirkstoff-Forschung besonders interessant“, erläutert Professor Dr. Gunnar Mayer vom Limes-Institut der Universität Bonn. Das von ihm und Professor Dr. Michael Famulok geleitete Forschungsprojekt unterstützte das Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) mit knapp 600.000 Euro.

SARS-CoV-2-Viren nutzen ein spezielles Eiweiß, das Spike-Protein, um am ACE2-Rezeptor ihrer Zielzellen anzudocken und diese zu infizieren. „Die meisten der bislang entwickelten therapeutischen Antikörper verhindern ein solches Andocken, indem sie sich an jenen Teil des Spike-Proteins anheften, der für die Erkennung von ACE2 zuständig ist, die sogenannte Rezeptorbindungsdomäne“, sagt Mayer. Auch das von den Bonner Forschenden isolierte Aptamer mit dem Kürzel SP6 bindet an das Spike-Protein von SARS-CoV-2, nutzt dafür aber eine andere Stelle. „Zwar kann SP6 das Andocken selbst nicht verhindern, bei Viren des ursprünglichen Wuhan-Typs wohl aber das weitere Eindringen in die Zelle und deren Infektion um 75 Prozent verringern“, ergänzt Professor Dr. Michael Famulok. Dies lasse darauf schließen, dass die neutralisierende Wirkung von SP6 erst im Anschluss an die Bindung erfolgt. „Den dafür verantwortlichen Mechanismus werden wir weiter intensiv untersuchen“, so Famulok.

Bindungsmechanismen verstehen, um „Achillesferse“ des Virus besser bekämpfen zu können

Mit ihren Erkenntnissen wollen die Bonner Forschenden nicht nur die einer Infektion zugrunde liegenden Mechanismen besser verstehen, sondern auch dazu beitragen, effizientere Wirkstoffe entwickeln zu können. Nötig ist dies vor allem mit Blick auf mögliche Varianten und Mutationen des ursprünglichen SARS-CoV-2-Erregers. Mutationen können das Virus so verändern, dass es ansteckender wird, leichter an den von ihm attackierten Zellen andocken und in sie eindringen kann.

Genau dies ist beispielsweise bei der derzeit in Deutschland vorherrschenden Omikron-Variante der Fall oder bei früheren Mutanten wie der Alpha-Variante, die im Oktober 2020 aus Großbritannien bekannt wurde und den Wildtyp des Erregers dort innerhalb weniger Monate weitgehend verdrängte, weil ihre Infektionseffizienz höher ist. Auch für die unter den Bezeichnung Beta, Gamma und Delta bekannt gewordenen Virusvarianten wurden Veränderungen vor allem am Spike-Protein festgestellt. „Bisherige Hemmstoffe richten sich zumeist gegen die Rezeptorbindungsdomäne“, betont Mayer, „je mehr Mutationen entstehen, desto größer ist auch die Gefahr“. Die mit Unterstützung des BMBF durchgeführte Studie am LIMES-Institut lenke „den Blick auf eine bislang unbekannte Achillesferse des Virus“, ist Mayer sicher.

Im Vorteil gegen neue Varianten und Schlüssel zur therapeutischen Nutzung

Bislang haben die Wissenschaftler am LIMES-Institut nicht mit echten Corona-Erregern gearbeitet, sondern mit sogenannten Pseudoviren, die zwar das Spike-Protein auf ihrer Oberfläche tragen, aber keine Krankheiten auslösen können. Ihre in der Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ veröffentlichte Studie belegt, dass das Aptamer SP6 die Infektion mit solchen Pseudoviren hemmt; im nächsten Schritt wollen die Forschenden ihre Erkenntnisse mit echten Viren bestätigen.

Weltweit versuchen Famulok zufolge viele Forschungsteams, Aptamere gegen die Spike-Proteine von SARS-CoV-2 zu selektieren: „Wir liegen da mit unserer Arbeit ganz gut im Rennen“, sagt der Bonner Chemiker. SP6 ist das einzige bisher bekannte, neutralisierende Aptamer, das nicht über eine Hemmung der Interaktion zwischen Rezeptorbindungsdomäne, kurz RBD, und ACE2 wirken. „Dies könnte angesichts der häufig auftretenden Mutationen in der RBD von Vorteil sein“, bilanziert Famulok.

Vor allem prophylaktisch könnten Aptamere große Bedeutung gewinnen: Mittelfristig streben die Bonner Wissenschaftler mit den von ihnen isolierten Hemmstoffen die Entwicklung eines Inhalationssprays an, einer Art Nasenspray, mit dem Risikogruppen vor Infektionen geschützt werden können. Ein entsprechendes Patent ist bereits angemeldet, die dazu nötigen Studien werden aber noch Monate in Anspruch nehmen.

BMBF-Förderung für SARS-CoV-2 Aptamers

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nutzte zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie das Rapid Response Modul der „Richtlinie zur Förderung eines Nationalen Forschungsnetzes zoonotische Infektionskrankheiten“ für einen Förderaufruf zur Erforschung von COVID-19. Über ein beschleunigtes Förderverfahren konnten Forschende Anträge stellen, um mit ihren Arbeiten zum Verständnis des Virus und dessen Ausbreitung beizutragen sowie therapeutische und diagnostische Ansätze gegen COVID-19 zu entwickeln. Das BMBF förderte das Vorhaben „SARS-CoV-2 Aptamers – Aptamere gegen das SARS-CoV-2 Spike-Protein“ unter Leitung von Prof. Dr. Michael Famulok und Prof. Dr. Günter Mayer von 2020 bis 2021 mit knapp 600.000 Euro.