Februar 2019

| Newsletter 93

Neue Wirkstoffkombination gegen Übergewicht

Eine neue Kombinationstherapie gegen Übergewicht und Diabetes zügelt den Appetit und erhöht den Energieverbrauch. Das berichten Forscherinnen und Forscher des Helmholtz Zentrums München, Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD).

Frau mit Kind warm angezogen im Wald

Der Körper versucht auch in einer kalten Umgebung die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Dadurch verbraucht er mehr Energie.

detailblick-foto - Fotolia

„Übergewicht ist der größte Risikofaktor für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Prof. Dr. Dr. h.c. Matthias H. Tschöp, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz Zentrums München, Inhaber des Lehrstuhls für Stoffwechselerkrankungen an der TUM. „Durch eine Diät alleine ist das zunehmende Adipositas-Problem leider nicht in den Griff zu bekommen, weshalb medikamentöse Therapieansätze unerlässlich sind“, ergänzt Tschöp, der auch den DZD-Forschungsbereich „Neue therapeutische Konzepte“ leitet. Zusammen mit Dr. Timo Müller, kommissarischer Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas (IDO), Dr. Christoffer Clemmensen und Sigrid Jall hat er daher eine neue Strategie entwickelt.* Den Forschenden ist es mit einer neuen Kombinationstherapie gelungen, überschüssige Fettpolster schmelzen zu lassen, indem gleichzeitig der Appetit gezügelt und der Energieumsatz erhöht wird.

Den Effekt von Kälte medikamentös simuliert

Die Vorlage der neuen Kombinationstherapie stammt aus der Natur. „Es ist lange bekannt, dass wir mehr Energie verbrauchen, wenn wir in einer kalten Umgebung sind. Der Körper versucht dann, die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten“, erläutert Clemmensen. Säugetiere wie der Mensch haben dazu spezielle - sogenannte braune - Fettzellen, welche darauf spezialisiert sind, Energie in Wärme umzuwandeln.

Ein Schlüsselmechanismus in diesem Prozess basiert darauf, dass spezielle Kälterezeptoren (Trpm8-Kanäle) aktiviert werden, die das Kältesignal an das braune Fettgewebe weitergeben. Eine Komponente der neuen Wirkstoffkombination, das Molekül Icilin (vom englischen Wort ‚ice‘ abgeleitet), zielt darauf ab, genau diesen Effekt hervorzurufen. „Icilin aktiviert Trpm8-Kanäle und führt so zu einer Erhöhung des Energieumsatzes, jedoch ohne dass wir uns in eine kalte Umgebung begeben müssen“, erklärt Sigrid Jall. In adipösen Mäusen führte die medikamentöse Aktivierung von Trpm8 zu einer Aktivierung des braunen Fettgewebes; der Energieumsatz stieg und das Körpergewicht verringerte sich.

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) e.V. ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.

Kampf dem Hungergefühl

Die zweite Komponente der Wirkstoffkombination zielte darauf ab, den Appetit zu zügeln und somit die Nahrungsaufnahme zu reduzieren. Hier verwendeten die Forscher ein Molekül, welches im Gehirn ähnlich wie Nikotin nikotinerge Acetylcholinrezeptoren (nAChR) anspricht. Diese Rezeptoren befinden sich auf speziellen Nervenzellen im Hypothalamus. Werden sie aktiviert, führt dies zu einem gesteigerten Sättigungsgefühl und der Appetit sinkt. In ihren Experimenten verwendeten die Forscherinnen und Forscher jedoch nicht das giftige Nikotin zur Aktivierung der Rezeptoren, sondern das harmlosere, aber weitaus spezifischere Dimethylphenylpiperazin (DMPP). In adipösen Mäusen führt DMPP nicht nur zu einer Reduzierung der Nahrungsaufnahme, sondern auch zu einer deutlichen Verbesserung des Zuckerstoffwechsels.

Doppelt hält besser

Bei ihren Experimenten machten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine besonders wichtige Entdeckung: Die Kombination von Icilin und DMPP reduzierte das Körpergewicht und verbesserte den Zuckerstoffwechsel weitaus stärker, als wenn die Effekte der Einzelbehandlung von Icilin und DMPP einfach aufaddiert würden. So führte die alleinige Behandlung mit Icilin oder DMPP nur zu geringen Effekten auf das Körpergewicht. „Kombiniert man jedoch beide Behandlungen in einer einzigen Therapie, so werden das Körpergewicht und der Zuckerstoffwechsel nachhaltig verbessert, ein wichtiger Erkenntnisgewinn zur Entwicklung neuer Therapieansätze für die Behandlung von Adipositas und Diabetes“, ordnet Matthias Tschöp die Ergebnisse ein.

In weiteren Experimenten versuchen die Forscher nun herauszufinden, warum die Kombination der beiden Moleküle so viel besser wirkt als die Einzelsubstanzen. „Die Ergebnisse dieser Studien können wichtige neue Erkenntnisse liefern, wie Moleküle sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken, was maßgeblich die Entwicklung zukünftiger Therapien verbessern könnte“, führt Timo Müller aus.

Original-Publikation:

Clemmensen, C. & Jall, S. et al. (2018): Coordinated Targeting of Cold and Nicotinic Receptors Synergistically Improves Obesity and Type 2 Diabetes. Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-018-06769-y

* An dem Projekt waren außerdem das Institut für Diabetes- und Regenerationsforschung, die Core Facility Pathology & Tissue Analytics sowie das Institut für Biologische und Medizinische Bildgebung beteiligt.

Ansprechpartner:
Dr. Timo Müller
Institut für Diabetes und Adipositas (IDO)
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
timo.mueller@helmholtz-muenchen.de

Pressekontakt:
Birgit Niesing
Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e. V.
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
niesing@dzd-ev.de