Neuroblastom: Möglicher Ansatzpunkt für Therapie entdeckt - Mikro-RNA treibt Krebszellen in den Selbstmord

Krebsmedikamente, die derzeit zur Behandlung verschiedener Lymphom- Erkrankungen zugelassen sind, könnten möglicherweise auch gegen bösartige Neuroblastome wirken, eine aggressive Krebserkrankung im Kindesalter. Ein kleiner RNA-Schnipsel spielt hierbei eine entscheidende Rolle. (Newsletter 64 / Oktober 2013)

Logo Nationales GenomforschungsgesetzNeuroblastome sind Tumoren des Kindesalters, die aus Zellen des embryonalen Nervensystems entstehen. Die Erkrankung verläuft individuell sehr unterschiedlich: Es gibt Fälle, in denen sich der Tumor spontan zurückbildet. In anderen Fällen verläuft die Krankheit tödlich. „In diesen besonders aggressiven Tumoren ist das Gen MYCN, das als Krebs- oder Onkogen bekannt ist, bis zu hundertfach vervielfältigt“, erklärt Dr. Hedwig Deubzer. Sie ist Kinderärztin und Forscherin am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg und weiß, dass nur etwa 20 bis 40 Prozent der Kinder mit einem solchen Hochrisiko-Neuroblastom die Krankheit überleben. „Wir müssen deshalb dringend bessere Behandlungsmöglichkeiten gegen diesen aggressiven Krebs finden!“

Der erste Schritt in diese Richtung ist der Wissenschaftlerin und ihrem Team nun gelungen. Sie hat eine Gruppe von Krebsmedikamenten, die Histondeacetylase-Inhibitoren, kurz HDAC-Inhibitoren, untersucht und herausgefunden, dass sie das Wachstum der bösartigen Neuroblastomzellen stoppen können – bislang jedoch nur in der Zellkulturschale und in Versuchen mit tumortragenden Mäusen. „Noch sind unsere Ergebnisse nicht auf den Menschen übertragbar“, betont Deubzer. „Aber wir verstehen jetzt, wie HDAC-Inhibitoren in Neuroblastomzellen wirken. Und das ist der erste Schritt, um eine neue Behandlungsoption für die betroffenen Kinder zu finden.“ Die Untersuchungen wurden im Nationalen Genomforschungsnetz (NGFN) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Wirkungsweise von HDAC-Inhibitoren entschlüsselt

Copyright: ThinkstockUnter dem Mikroskop kann das Wachstum von Neuroblastomzellen beobachtet werden.Um die Wirkungsweise der HDAC-Inhibitoren zu verstehen, untersuchten die Forscherinnen und Forscher beispielsweise, ob sich die Inhibitoren auf mikro-RNAs auswirken. Mikro-RNAs sind kleine Steuermoleküle in der Zelle. Sie bestehen aus kurzen Ribonukleinsäure-Schnipseln, die an die Boten-RNA binden. So können sie verhindern, dass die Information bestimmter Gene in Proteine übersetzt wird, und beeinflussen damit die Aktivität von Genen. Tatsächlich führten die HDAC-Inhibitoren zu einem deutlich veränderten mikro-RNA-Profil. „Vor allem steigerten die Medikamente die Produktion einer bestimmten mikro-RNA mit der Nummer 183“, erklärt Dr. Marco Lodrini, Erstautor der Arbeit. Um herausfinden, ob diese mikro-RNA 183 tatsächlich das bösartige Verhalten des Neuroblastoms beeinflusst, steigerten die Forscherinnen und Forscher die Produktion des RNA-Moleküls in den Krebszellen. Daraufhin lösten die Krebszellen Apoptose aus, ein Todesprogramm, das sie in den Selbstmord treibt. Außerdem wuchsen die so veränderten Krebszellen, wenn sie auf Mäuse übertragen werden, nicht mehr zu Tumoren. Damit war klar, dass die mikro-RNA 183 eine krebshemmende Wirkung in Neuroblastomen hat. „Sie könnte also zukünftig ein wichtiger Angriffspunkt für neue Therapien sein“, sagt Deubzer.

HDAC-Inhibitoren sind Medikamente, die bislang zur Behandlung bestimmter Lymphom-Erkrankungen zugelassen sind. Sie hemmen die Aktivität der HDAC-Enzyme. Deren Aufgabe besteht darin, Histone chemisch zu modifizieren, also eine Gruppe von Proteinen, die als Verpackungsmaterial der Erbinformation DNA dienen. HDAC-Enzyme regulieren dabei, wie zugänglich und damit aktiv unser Erbgut ist. Das gilt auch für Gene, die die Informationen für mikro-RNAs tragen. In jeder menschlichen Zelle gibt es 18 verschiedene HDAC-Enzyme. Deshalb fragte sich das Team um Deubzer: Unterdrücken alle HDAC-Enzyme gleichermaßen die Produktion der mikro-RNA 183? Um diese Frage zu beantworten, schalteten die Forscherinnen und Forscher in Neuroblastom-Zellen systematisch einzelne Vertreter der Enzymfamilie aus. Anschließend beobachteten sie den Effekt auf die mikro-RNA-183-Produktion.

Der Schlüssel heißt: mikro-RNA 183

Das Ergebnis: Eine Blockade des Enzyms HDAC2 allein erzielte eine ähnliche Wirkung wie ein HDAC-Inhibitor, der die gesamte Enzymfamilie inaktiviert: War HDAC2 ausgeschaltet, stieg die Menge an mikro-RNA 183. „HDAC2 ist offensichtlich aktiv daran beteiligt, die krebshemmende mikro-RNA 183 in Neuroblastomzellen zu unterdrücken.“ Aber nicht allein: „Offenbar tun sich das Krebsgen MYCN und HDAC2 zusammen, um den Schalter des Gens lahmzulegen, der für die Produktion der mikro-RNA 183 verantwortlich ist. So werden die Neuroblastomzellen besonders aggressiv“, erklärt die Wissenschaftlerin. Das Ergebnis sollte allerdings nicht so gedeutet werden, warnt Deubzer, dass ein selektiver Hemmstoff gegen HDAC2 das bessere Krebsmedikament wäre als die verfügbaren HDAC-Inhibitoren, die alle HDACEnzyme gleichzeitig hemmen. „Denn die anderen Mitglieder der HDAC-Familie tragen möglicherweise auch zum bösartigen Verhalten des Neuroblastoms bei. Darüber wissen wir derzeit noch nicht genug.“

Bildquelle: Dr. Marco Lodrini, DKZF

Deshalb ruht sich Deubzer keineswegs auf diesen Erkenntnissen aus. Sie ist weiterhin daran interessiert, die genaue Wirkungsweise der HDAC-Inhibitoren zu verstehen. Unter Leitung von Professor Dr. Olaf Witt läuft derzeit in Heidelberg eine klinische Studie mit einem HDAC-Inhibitor. Einbezogen werden Kinder mit verschiedenen onkologischen Erkrankungen, hierzu zählen auch Lymphome und Leukämien, die bereits einen Rückfall erlitten haben. Die Wissenschaftler erhoffen sich durch die Studie Aussagen über die Verträglichkeit und Wirksamkeit dieses Medikaments bei der Behandlung von Kindern mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen.

Ansprechpartnerin:
Dr. Hedwig Deubzer
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Klinische Kooperationseinheit Pädiatrische Onkologie und Klinik für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Immunologie der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 42-3573
Fax: 06221 42-3277
E-Mail: h.deubzer@dkfz.de