Psychische Störungen begünstigen Ecstasymissbrauch

Ecstasykonsum kann zu psychischen Störungen führen - das ist bekannt. Jetzt zeigte eine deutsche Studie, dass psychische Erkrankungen nicht nur als Folge, sondern durchaus schon im Vorfeld des Ecstasykonsums eine wichtige Rolle spielen.

Psychische Probleme sind offensichtlich ein wichtiger und bislang übersehener Faktor dafür, dass Jugendliche und junge Erwachsene regelmäßig zu Ecstasy und anderen Drogen greifen. Etwa 88 Prozent aller Ecstasy-User zeigen bereits vor dem Beginn des Konsums psychische Auffälligkeiten. Sie leiden gehäuft unter Angsterkrankungen und affektiven Störungen wie Depressionen. Zu diesen Ergebnissen kam eine epidemiologische Verlaufsstudie, die im Rahmen des Forschungsverbundes "Analytical Epidemiology of Substance Abuse" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie untersuchten unter der Leitung von Professor Dr. Hans-Ulrich Wittchen und Dr. Roselind Lieb über einen Zeitraum von fünf Jahren in München und Umgebung den Konsum von legalen und illegalen Drogen in einer repräsentativen Bevölkerungsgruppe von 14- bis 24-Jährigen.

Erstkonsumenten immer jünger
Unter der Bezeichnung Ecstasy werden Tabletten zusammengefasst, deren Wirkstoffe aus der Gruppe der Amphetaminderivate stammen und die somit dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Ihre Zusammensetzung variiert ebenso stark wie ihre Form, Farbe und ihr Gewicht. Als hochaktive psychotrope Substanzen haben sie eine aufputschende Wirkung und unterdrücken wichtige Körperfunktionen wie Müdigkeit, Hunger und Durst. Wenn die Konsumenten dann stundenlang tanzen ohne zu trinken, erhöht sich ihre Körpertemperatur mitunter auf bis zu 42°C. Es kann zu Herz-Kreislauf-Problemen kommen bis hin zum Schock. Auch wegen solcher Folgen sind die Ergebnisse der Studie so alarmierend: "Wir konnten zeigen, dass der Ecstasykonsum seit 1990 um über 250 Prozent zugenommen hat und die Erstkonsumenten immer jünger werden", sagt Wittchen. Von den 14- bis 15-jähri- gen Ecstasy-Usern zählen der Studie zufolge mehr als zwei Drittel noch zu den Probierern, die Ecstasy erst einmal oder nur wenige Male genommen haben. Die regelmäßigen Konsumenten sind hingegen in der Regel schon älter (16- bis 19-jährig). Typischerweise wird Ecstasy von klinisch noch nicht auffälligen Usern in der Bevölkerung zwei- bis dreimal im Monat genommen. Wichtige Ergebnisse im Hinblick auf die Prävention sind laut Wittchen: "Rund 88 Prozent der Jugendlichen, die nur etwa ein- bis zweimal Ecstasy probiert haben, hören dauerhaft wieder damit auf, während die Mehrzahl derjenigen, die es bereits regelmäßig konsumieren, entweder dabeibleiben, auf andere Drogen wechseln oder diese mit Ecstasy kombinieren."

Oft liegen Angsterkrankungen zugrunde
Vor allem Jugendliche, die schon in der Kindheit von Angsterkrankungen und depressiven Störungen betroffen waren, sind stark gefährdet, regelmäßige Konsumenten von Ecstasy, aber auch anderen Drogen zu werden. Interessant ist dabei die Beobachtung, dass ihre Hemmschwelle für die erste Einnahme zunächst durchaus hoch ist - möglicherweise weil ihnen aufgrund der Angstproblematik der Mut dazu fehlt. Haben sie aber erst einmal damit angefangen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie Ecstasy und andere Substanzen regelmäßiger und langfristiger konsumieren als Personen ohne Angststörungen. Eine Motivation für den Ecstasykonsum ist bei diesen Jugendlichen der Glaube, bestehende Ängste und andere psychische Probleme - zum Beispiel im sozialen Kontakt - selbst "therapieren" zu können. "Das ist aber ein großer Irrtum", so Wittchen. "Zwar kann bei einigen Jugendlichen initial durchaus eine vorübergehende scheinbare Beschwerdebesserung eintreten. Da Ecstasy aber keine beruhigende, sondern eine stimulierende Wirkung hat, führt der wiederholte Konsum gehäuft zu einer Zunahme von Angstphänomenen, Panik sowie ängstigenden körperlichen und psychischen Leiderlebnissen." Möglicherweise liege das unter anderem daran, dass viele Ecstasypräparate auch Beimischungen von Halluzinogenkomponenten aufweisen, erklärt Wittchen. Geprüft wird derzeit, ob das Auftreten dieser Phänomene zudem damit verbunden ist, dass Ecstasykonsumenten in der Regel auch zu anderen illegalen Substanzen greifen. Ein Grund für diesen zusätzlichen Konsum ist der Studie zufolge offensichtlich, dass vielen Ecstasy-Usern nach längerem regelmäßigen Gebrauch der primäre Amphetamineffekt nicht mehr ausreicht.

Cannabis öffnet Ecstasy die Türen
"Besonders häufig und gefährlich ist bei Ecstasy-Usern der zusätzliche Konsum mehrerer illegaler Drogen, also zum Beispiel von Halluzinogenen oder Kokain verbunden mit einem hochfrequenten Cannabisgebrauch", sagt Wittchen. Er betont, dass etwa 15 Prozent aller Ecstasy-User zu Langzeitkonsumenten werden, die zusätzlich mehrere andere Drogen zu sich nehmen. Eine besonders enge Verbindung bestehe dabei zwischen Cannabis und Ecstasy, denn kaum jemand steige mit Ecstasy ein, ohne vorher Cannabis konsumiert zu haben: "Die Jugendlichen beginnen mit Rauchen und Alkohol, dann probieren sie Cannabis. Über diesen Besorgungsweg werden ihnen die Türen zu anderen Drogen wie Ecstasy geöffnet", sagt Wittchen. Der zusätzliche Konsum der Ecstasy-User erstrecke sich aber nicht nur auf illegale Substanzen, sondern auch auf legale Drogen wie Nikotin und Alkohol sowie verschreibungspflichtige Medikamente wie Schlaf-, Schmerz- und Beruhigungsmittel.

Gezielte Frühintervention statt allgemeiner Prävention
Eines hält Wittchen für besonders gefährlich: Ecstasy als Freizeitdroge abzutun und zu bagatellisieren. Immerhin entwickelt etwa jeder sechste Ecstasy-User ein Missbrauchs- oder Abhängigkeitssyndrom, was auf ein erhebliches Suchtpotenzial hinweist. "Auch wenn einmal Ecstasy probieren nicht gleich heißt, dass man abhängig wird, muss die Botschaft lauten: Wer psychische Probleme hat, sollte strikt auf den Konsum von Ecstasy und anderen Drogen verzichten, um Komplikationen, langfristige Gesundheitsschäden und die Entwicklung einer Abhängigkeit zu vermeiden", betont Wittchen. Allgemeine Drogenprävention, zum Beispiel durch Plakate oder Fernsehspots, hält er für nicht ausreichend und außerdem für gefährlich. Sie animiere Jugendliche eher zum Ausprobieren, als dass sie abschreckend wirke. Zudem seien die üblichen Suchtmodelle, die für sedierende Drogen (z. B. Heroin) entwickelt wurden, nicht einfach auf andere Substanzen übertragbar. Viel wichtiger findet der Experte eine ganz gezielte Frühintervention, die auf ein bestimmtes Problemverhalten, zum Beispiel den Ecstasykonsum, zugeschnitten ist. Sie sollte die Jugendlichen direkt ansprechen und einbeziehen. "Dabei sind besondere Anstrengungen notwendig, um Ecstasykonsumenten gerade im Probierstadium zu erreichen und sie sachlich über das Gefährdungs- und Entwicklungspotenzial aufzuklären", betont Wittchen. Zudem sollten Motivationen, die zum Einstieg in den Ecstasykonsum führen, ebenso berücksichtigt werden wie solche, die den Ausstieg bewirken - entsprechende Maßnahmen und Strategien sind bereits in Planung.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hans-Ulrich Wittchen
Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Klinische Psychologie und Epidemiologie
Kraepelinstraße 2-10
80804 München
Tel.: 089/3 06 22-5 46
Fax: 089/3 06 22-5 44
E-Mail: wittchen@mpipsykl.mpg.de

Dr. Corinna van Niekerk
Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Klinische Psychologie und Epidemiologie
Kraepelinstraße 2-10
80804 München
Tel.: 089/3 06 22-6 54
Fax: 089/3 06 22-5 44
E-Mail: niekerk@mpipsykl.mpg.de

BMBF-Förderung
Förderschwerpunkt Suchtforschung
Laufzeit: 1991-2004
Fördersumme: insgesamt 33,7 Mio. Euro
Forschungsverbund "Analytical Epidemiology
of Substance Abuse"
Laufzeit: 1994-2002
Fördersumme: 2,3 Mio. Euro