Psychotherapie führt zu biologischen Veränderungen

Interview mit Privatdozent Dr. Peter Gass vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim über den Zusammenhang von Kortisol und Depression

Sehr geehrter Herr Gass, Störungen des Kortisol-Haushalts scheinen bei Depressionen eine wichtige Rolle zu spielen. Gilt das für alle Patienten?
In erster Linie scheinen Veränderungen im Kortisol-Stoffwechsel bei schweren Formen der Depression vorzukommen. Etwa 50 Prozent der klinisch schwer depressiven Patienten weisen erhöhte Kortisol-Spiegel im Blut auf, vor allem nachts.


Wird heute noch zwischen reaktiven Depressionen durch belastende Lebensumstände und endogenen Depressionen, die ohne solche Auslöser entstehen, unterschieden? Gibt es dabei Unterschiede im Kortisol-Haushalt?
Von dieser Differenzierung ist man schon seit einiger Zeit abgekommen, weil zwischen beiden Formen keine echten biologischen Unterschiede zu bestehen scheinen. Die Diagnose einer Depression wird in erster Linie anhand der typischen Symptome und nicht anhand der Entstehungsgeschichte gestellt. Insofern können Störungen des Kortisol-Stoffwechsels immer eine Rolle spielen, auch wenn die Depression offensichtlich durch ein belastendes Ereignis wie den Tod des Partners ausgelöst wurde.

Stabilisiert eine Therapie der Depression auch den Kortisol-Haushalt?
Ja. Es ist bekannt, dass sich unter der Behandlung mit Antidepressiva ein gestörter Kortisol-Stoffwechsel oft normalisiert. Die kausalen Zusammenhänge sind allerdings unklar. Wir wissen nicht, ob die Medikamente direkt den Kortisol-Stoffwechsel beeinflussen und dadurch die Stimmung verbessern, oder ob die Antidepressiva - während sie die Stimmung aufhellen - gleichzeitig zu einer Stabilisierung des Kortisol-Stoffwechsels beitragen.
 
Kann man mit einer Psychotherapie dasselbe erreichen?
Depressive Patienten mit gestörtem Kortisol-Haushalt, deren Zustand sich durch alleinige Psychotherapie verbessert, zeigen auch eine Verbesserung ihrer Kortisol-Spiegel. Psychotherapie führt also zu biologischen Veränderungen. Ähnliches findet man auch im Tierversuch. Wenn man bei depressiven Nagern die Haltungsbedingungen durch Spielzeug oder ein Laufrad angenehmer gestaltet, lässt sich beobachten, dass sich ein zuvor erhöhter Kortisol-Stoffwechsel normalisiert. Außerdem funktioniert bei den Tieren die Regulation von bestimmten Botenstoffen im Hippocampus, der Hirnregion, die emotionales Verhalten steuert, wieder besser.

Können Kortison-haltige Medikamente Depressionen auslösen?
Dass bei manchen Menschen, die Kortison einnehmen, Veränderungen des Gefühlslebens auftreten, ist gut bekannt und kommt gar nicht so selten vor. Die Patienten können sowohl Symptome einer Depression entwickeln als auch Zeichen einer manischen Störung, also eine übertrieben positive, hyperaktive oder überreizte Stimmungslage. Zu diesen Symptomen kommt es in der Regel aber nur, wenn man relativ hohe Kortison-Dosen über einen längeren Zeitraum einnimmt.

Welche Therapiemöglichkeiten der Depression sehen Sie für die Zukunft?
Unser Institut führt zurzeit gemeinsam mit internationalen Partnern eine große Studie an Personen durch, die unter einer sehr schweren Depression leiden. Wir behandeln die Patienten mit einem Medikament, dass die Glukokortikoid-Rezeptoren blockiert. Dadurch kann das Hormon im Gehirn seine Wirkung nicht mehr entfalten und den Haushalt der Botenstoffe dort nicht mehr stören. Wir glauben, dass darin eine neue Möglichkeit bestehen könnte, den Patienten zu helfen. Kleinere Studien deuten bereits darauf hin, dass dieser Ansatz funktioniert.