Roter Farbstoff gegen Alzheimer - Naturstoff aus Flechten macht offenbar Alzheimer-Ablagerungen unschädlich

Proteinablagerungen im Gehirn, bestehend aus Beta-Amyloid Peptiden, sind eine der auffälligsten Veränderungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten. Besonders kleinere Aggregate von Beta- Amyloid Peptiden werden als eine Ursache für Alzheimer diskutiert. Nun haben Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes NGFN-Plus herausgefunden, dass ein Farbstoff der Flechte Roccella tinctoria offenbar die schädlichen Alzheimer-Ablagerungen unschädlich machen kann – bislang allerdings nur in Zellkulturexperimenten. (Newsletter 55 / Januar 2012)

LogoFalsch gefaltete Proteine im Gehirn gelten als eine Ursache der Alzheimer Krankheit. In einem mehrstufigen Prozess falten sich hierbei körpereigene Proteine, die Beta-Amyloid Peptide, in eine unnatürliche Form und bilden über verschiedene Vorstufen große Ablagerungen, die amyloiden Plaques. Diese charakteristischen Anhäufungen des Proteinfragments Beta-Amyloid werden zur endgültigen Diagnose nach dem Tod der Betroffenen in Gewebeschnitten nachgewiesen. „Wir gehen allerdings davon aus, dass besonders kleinere Aggregate dieser fehlgefalteten Eiweiße, die Oligomere und Protofibrillen, und weniger die großen Ablagerungen aus Beta-Amyloid-Fibrillen für die Nervenzellen giftig sind und deren Untergang verursachen“, so die Theorie von Prof. Dr. Erich Wanker vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Braunschweig, Berlin, Freiburg und Dublin hat er jetzt einen Wirkstoff entdeckt, der genau diese toxischen Vorstufen von Alzheimer-Plaques unschädlich macht – zumindest in vitro.

Orcein – so heißt der Wirkstoff, den die Wissenschaftler zukünftig im Kampf gegen Alzheimer weiter untersuchen möchten. Orcein ist ein roter Naturfarbstoff und stammt aus der Flechte Roccella tinctoria, die unter anderem auf den Kanarischen Inseln vorkommt. „Orcein wird seit Jahrhunderten für die Färbung von Stoffen und Lebensmitteln genutzt“, sagt Professor Wanker.

Größere Proteinaggregate sind weniger gefährlich

Bildquelle: Prof. Anders Tehler, Department of Cryptogamic Botany, Swedish Museum of Natural History, StockholmDie Flechte Roccella tinctoria aus der der Farbstoff Orcein stammt, an einem Felsvorsprung.Auf die Spur dieses Farbstoffs kamen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Netzwerks Neurodegenerative Erkrankungen (NeuroNet), das im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes NGFN-Plus vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, als sie hunderte von Naturstoffen durchforsteten – auf der Suche nach Substanzen, die das Aggregationsverhalten von Proteinen verändern und somit potentielle Wirkstoffe für die Behandlung von Nervenerkrankungen sind. Geholfen hat ihnen hierbei ein eigens entwickeltes Filterassay: Zusammengelagerte große Beta-Amyloid-Fibrillen werden von einer Membran zurückgehalten, während kleinere Aggregate durch die Membran hindurch gewaschen werden. Die zurückgehaltenen großen Aggregate können anschließend sichtbar gemacht und quantifiziert werden. „So sind wir auf Orcein, ein Substanzgemisch aus etwa 14 kleinen Molekülen, und auf den Farbstoff O4 gestoßen, der einem der Moleküle des Orceins strukturell sehr ähnlich ist“, sagt der Wissenschaftler Dr. Jan Bieschke, einer der Erstautoren der Studie, der zukünftig an der Washington University forschen wird. Das Ergebnis: Orcein und auch O4 binden an Beta-Amyloid-Proteine, verringern die Anzahl der gefährlichen kleineren Aggregate und beschleunigen die Ausbildung großer Aggregate.

„Bisher galt es als sehr schwierig“, erklärt Professor Wanker, „die Bildung der gefährlichen Vorstufen zu stoppen. Wenn unsere Theorie stimmt, wonach besonders die kleineren Amyloid-Aggregate und weniger die großen Plaques für die Nervenzellen tödlich sind, so hätten wir mit Orcein und O4 einen neuen Mechanismus gefunden, um dort anzugreifen.“

Noch ist unklar, ob die Beschleunigung der Plaquebildung als therapeutischer Ansatz für Patienten mit Alzheimer in Frage kommt. „Zunächst müssen wir klären, ob die Substanzen auch in vivo zu einer beschleunigten Amyloid-Beta-Aggregation führen und ob die Ablagerung dieser Aggregate eine Milderung der Alzheimer’schen Krankheit zur Folge hat“, sagt Professor Wanker. Hierfür sind weitere Studien nötig.

Ansprechpartner:
Professor Dr. Erich Wanker
Max-Delbrück-Center for Molecular Medicine
AG Neuroproteomics
Robert-Roessle-Str. 10
13125 Berlin-Buch
Tel.: 030 9406-2157
Fax: 030 9406-2552
E-Mail: ewanker@mdc-berlin.de