Vorurteile gegen Morphin & Co. - Pflegewissenschaftliche Studie belegt: Beratung hilft bei Krebsschmerz

Schmerz ist eines der häufigsten Symptome, das Patienten mit einer Tumorerkrankung stark belastet - besonders in fortgeschrittenen Krankheitsstadien. Zwar kann eine gezielte Behandlung bei bis zu 90 Prozent der Patienten die Schmerzen effektiv lindern. Doch nicht selten verschließen sich die Patienten vor einer medikamentösen Schmerzbehandlung. Die Gründe: Ablehnung, Vorurteile oder Furcht. Nur wenige Beratungsgespräche reichen allerdings aus, um den Patienten ihre Sorgen zu nehmen. (Newsletter 53 / September 2011)

Schmerzmittel, besonders opioidhaltige Medikamente, machen süchtig! Schmerzmittel haben starke Nebenwirkungen und auf Dauer verlieren sie sowieso ihre Wirkung! Diese und andere Vorurteile gegenüber einer medikamentösen Schmerzbehandlung sind weit verbreitet. Doch anhaltender Schmerz beeinträchtigt Körper und Seele der Betroffenen. Besonders bei Krebspatienten ist Schmerz eines der häufigsten Symptome. Allein in Deutschland leiden etwa 220.000 Krebspatienten unter starken Schmerzen. Bei bis zu 90 Prozent dieser Patientinnen und Patienten könnten die Schmerzen durchaus effektiv gelindert werden - mit Hilfe einer Behandlung gemäß den medizinischen Leitlinien. "Doch hierfür müssen meist Schmerzmittel zum Einsatz kommen, was viele Patienten aus Furcht oder wegen Vorurteilen strikt ablehnen", beschreiben Prof. Dr. Margarete Landenberger und Kollegen vom Institut für Gesundheitsund Pflegewissenschaft an der Medizinischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg.

Was antwortet man Patienten auf ihre Sorgen, Ängste und Vorurteile? "Oftmals beruhen die Ängste der Patientinnen und Patienten auf falschem Wissen", sagt Professor Landenberger. Zum Beispiel in Bezug auf opioidhaltige Schmerzmittel: "Hier hören wir immer wieder das Vorurteil: Solche Schmerzmittel machen süchtig! Doch das stimmt nicht. Denn so wie ein Diabetiker von Insulin abhängig, aber nicht danach süchtig ist, ist auch ein Mensch mit Schmerzen von Schmerzmitteln abhängig - weil er ja sonst Schmerzen hätte -, aber nicht danach süchtig", erklärt Professor Landenberger. Denn langwirksame, opioidhaltige Schmerzmittel verursachen, wenn sie richtig angewendet werden, keine psychische Abhängigkeit. Wird ein Medikament fortlaufend eingenommen, gewöhnt sich zwar der Körper daran. Diese körperliche Abhängigkeit ist jedoch kein Problem, solange das Medikament regelmäßig eingenommen wird. Ist das Arzneimittel nicht mehr nötig, muss es langsam abgesetzt werden, denn ein abruptes Absetzen führt zum Entzug mit körperlichen Symptomen. "Diese Symptome werden dann fälschlicherweise für eine psychische Abhängigkeit gehalten", so Professor Landenberger. Doch eine psychische Abhängigkeit trete bei Krebspatienten nicht ein. "Das Verlangen nach dem Medikament ist kein Verlangen nach den psychischen Effekten des opioidhaltigen Schmerzmittels, sondern vielmehr nach der schmerzstillenden Wirkung."  

 Aufklärung und Entspannung  

Diese und andere Vorurteile oder Ängste können Krebspatienten durch gezielte Beratungsgespräche genommen werden. In einer pflegewissenschaftlichen Studie haben Professor Landenberger und ihr Team mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) Krebspatienten mit behandlungsbedürftigen Schmerzen während ihres Krankenhausaufenthaltes zusätzlich Beratungsgespräche angeboten. Das Ziel: Bei den Patienten ein effektives Selbstmanagement der Schmerzen zu erreichen. Auf den Krebsstationen des Universitätsklinikums Halle und des Klinikums rechts der Isar, Technische Universität München, wurden die Patienten zunächst in einem strukturierten Beratungsgespräch von speziell geschulten Pflegekräften über Schmerzen, deren Ursachen und die Behandlungsoptionen informiert. "Der Schwerpunkt der Beratungsgespräche liegt darin, die möglichen Vorurteile der Patienten gegenüber einer Schmerzbehandlung abzubauen, also zum Beispiel Vorurteile bezüglich Suchtgefahr oder Wirkverlust, und so die Behandlungstreue der Patienten nachhaltig zu verbessern", fasst Professor Landenberger zusammen. Auf Wunsch der Patienten finden diese Beratungsgespräche gemeinsam mit den Angehörigen statt. Zusätzlich zur medikamentösen Behandlung üben die Pflegekräfte mit den Patienten auch Entspannungsübungen ein. Mit diesen Übungen können die Patienten zum Beispiel vor dem Einschlafen auf ihre Schmerzen einwirken. Damit stärken sie ihre Selbsthilfekompetenz. Dies gibt den Patienten das positive Gefühl, selbst aktiv an der Therapie mitwirken zu können.

 Schon wenige Gespräche reichen  

Das Ergebnis der Studie: Durch eine gezielte Beratung der Patientinnen und Patienten durch Pflegefachkräfte können Vorurteile, die Patienten zur Schmerzbehandlung haben, abgebaut werden. Um die Schmerzversorgung der Patienten zu verbessern, ihre Schmerzen zu verringern und die Lebensqualität zu erhöhen, reichen schon wenige Gespräche aus. "Im Vergleich zur bisher in Kliniken üblichen Versorgung konnte mit Hilfe weniger Gespräche bei 74 Prozent der Krebspatienten die Schmerzen gelindert werden", betont Professor Landenberger. Dieser Effekt ist nicht nur während des Krankenhausaufenthalts, sondern auch noch vier Wochen nach der Entlassung spürbar.

Da Schmerzen nicht die einzigen Symptome der Erkrankung oder auch der Therapie von Krebspatienten sind, werden die Pflegewissenschaftler zukünftig eine Behandlung entwickeln und prüfen, die drei der häufigsten Begleitsymptome lindern soll: Schmerz, Mattigkeit (Fatigue) und Schlafstörungen. "Hierbei werden die Beratungsgespräche sowie Entspannungsübungen weiterhin eine wichtige Rolle spielen", so Professor Landenberger.  


Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Margarete Landenberger
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Magdeburger Straße 8
06097 Halle/Saale
Tel.: 0345 557-4106
Fax: 0345 557-4471
E-Mail: margarete.landenberger@medizin.uni-halle.de