Oktober 2019

| Newsletter 96

Wann die Pilzinfektion zur Lebensgefahr wird

Normalerweise ist er ein harmloser Mitbewohner des Körpers: der Pilz Candida albicans. Doch er kann zum gefährlichen Krankheitserreger werden. Ein Forschungsteam sucht nach den Auslösern – und liefert neue Ansätze für die Therapie von Infektionen.

Jedes Jahr erkranken weltweit mehr als eine Milliarde Menschen an Pilzinfektionen. Größtenteils sind das oberflächliche Infektionen, dennoch sterben jährlich rund 1,5 Millionen Betroffene an den Folgen einer invasiven Pilzinfektion – ungefähr genauso viele wie an Malaria oder Tuberkulose. Häufiger Auslöser dieser lebensgefährlichen Infektionen ist der Hefepilz „Candida albicans“. Für die meisten Menschen ist er ein unschädlicher Mitbewohner der Schleimhäute. So gehört er zum normalen Mikrobiom des Darms. In Ausnahmesituationen kann der Pilz jedoch ungehindert wuchern und zur tödlichen Gefahr für seinen Träger werden. Wann und wie genau das passiert, will das internationale Forschungsteam um den Infektionsbiologen Bernhard Hube vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena herausfinden. Das Bundesforschungsministerium hat die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei unterstützt.

Sobald das Immunsystem geschwächt ist, kann Candida albicans Infektionen auslösen. Auch eine Behandlung mit Antibiotika verändert die normale bakterielle Haut- und Darmflora so, dass der Pilz vermehrt wachsen kann. Die Folge sind Entzündungen der Haut oder Schleimhaut, etwa im Genitalbereich oder im Mund. Rund drei Viertel aller Frauen leiden mindestens einmal in ihrem Leben an einer vaginalen Candida-Infektion. In Extremsituationen wie nach einer Darmoperation, Chemotherapie oder bei einer Organtransplantation können die Pilze jedoch tiefer in den Körper eindringen und über das Blutgefäßsystem innere Organe befallen. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer tödlich verlaufenden Sepsis.

Zwei Kolonien von Candida albicans: Der Pilz kann lebensgefährliche Infektionen auslösen

Zwei Kolonien von Candida albicans: Der Pilz kann lebensgefährliche Infektionen auslösen

Bernhard Hube/Leibniz-HKI

Wie Bakterien den Pilz ausbremsen

Was bei diesem Prozess auf molekularer Ebene abläuft, ist noch weitgehend unerforscht. „Uns interessiert besonders die Rolle der probiotischen Mikroben und ihre Wechselwirkung mit dem Pilz“, sagt Mikrobiologe Hube. Hierfür haben die Forscherinnen und Forscher aus Jena ein spezielles Zellkulturmodell entwickelt, auf dem sie die Wechselwirkung von Candida albicans mit Laktobazillen beobachten können. Dass diese Milchsäurebakterien auch bei Pilzinfektionen eine schützende Wirkung entfalten, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun im Labor nachweisen.

„Für den Infektionsprozess ist ganz entscheidend, wie der Pilz wächst“, sagt Hube. Bei einer krankhaften Entwicklung bildet Candida albicans vermehrt sogenannte Hyphen, die sich wie Wurzelarme in die Epithelzellen der Haut und Schleimhäute bohren und diese massiv schädigen. „In unserem Modell konnten wir sehen, dass Laktobazillen das Hyphenwachstum der Pilze drosseln“, erklärt Hube. „Außerdem werden befallene Zellen unter Einwirkung der Bakterien schneller abgestoßen, sodass das Gesamtgewebe intakt bleibt.“ Die Ergebnisse legen nahe, dass eine zielgerichtete, personalisierte Behandlung mit Probiotika für besonders gefährdete Patientengruppen Schutz vor invasiven Pilzinfektionen bieten könnte.

Pilzgift zerstört Membran der Wirtszelle

Zudem haben die Forscherinnen und Forscher ein weiteres Rätsel um Candida albicans gelöst: Sie haben ein Pilzgift entdeckt, das entscheidend an dessen Aktivität als gefährlicher Krankheitserreger beteiligt ist. Candidalysin, so der Name des Giftes, durchlöchert die Membran der Wirtszellen und zerstört diese schließlich. Die Forscherinnen und Forscher hatten gehofft, hier mit Wirkstoffen gegensteuern zu können, die das Toxin neutralisieren. Doch so einfach ist es leider nicht. Der Pilz aktiviert mit der Ausschüttung des Toxins die Immunabwehr des Körpers. Die Immunzellen können den Pilz angreifen und eliminieren. Eine Toxin-Neutralisierung könnte daher auch gefährlich werden, weil sie diese Immunantwort verhindert.

Bei vaginalen Pilzinfektionen reagiert das Immunsystem jedoch häufig über, sodass es zu einer heftigen Entzündung kommt. „Die Immunzellen werden durch das Toxin angelockt, sind sehr aggressiv und verursachen große Kollateralschäden, ohne wirklich etwas gegen den Pilz ausrichten zu können“, sagt Hube. „Wenn wir hier das Toxin wegnehmen, wird die Entzündung reduziert und die Infektion eingedämmt.“ Hube und sein Team sind für die Entwicklung eines entsprechenden Wirkstoffs bereits mit Firmen in Kontakt.

Suche nach Biomarker für Diagnose

Doch viele Fragen rund um das komplexe Zusammenspiel von Pilz, Mikrobiom und Immunsystem sind noch offen. Eine große Herausforderung ist die Suche nach einem Biomarker für die Diagnose invasiver Pilzinfektionen. Diese gehen häufig mit unspezifischen Symptomen wie Fieber einher. „Die Ärzte denken dann häufig, dass es sich um eine bakterielle Infektion handelt, und setzen Antibiotika ein“, sagt Hube. „Diese dezimieren aber die nützlichen Bakterien im Mikrobiom, und der Pilz kann sich erst recht ausbreiten. Wenn wir einen verlässlichen Biomarker finden würden, der zwischen einer harmlosen Kolonisierung von Candida albicans und einem krankhaften Befall unterscheiden könnte, wäre das eine große Hilfe für Mediziner und Patienten.“


Ansprechpartner:

Prof. Dr. Bernhard Hube
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie
Hans-Knöll-Institut Jena
Beutenbergstraße 11A
07745 Jena
Bernhard.Hube@leibniz-hki.de