Wenn es eine Salbe mit einem Gendefekt aufnimmt - Cholesterin-Senker führt zu deutlichen Verbesserungen bei schwerer Hauterkrankung

Die Haut ist verhornt, entzündet und erinnert an die Schuppen eines Fisches – Patientinnen und Patienten mit einer Ichthyose, auch Fischschuppen-Krankheit genannt, leiden sowohl physisch als auch psychisch unter ihrer Erkrankung. Eine wirksame Therapie gibt es bislang nicht. Nun erwies sich eine Linderung der Beschwerden aber als erstaunlich einfach. (Newsletter 70 / Oktober 2014)

Linda Conrad 1  klettert aus dem Schwimmbecken. Sie nimmt die Schwimmbrille ab und atmet tief durch. Die junge Frau trainiert gerne im Wasser. Bis vor kurzem war aber genau das undenkbar. Linda hat eine Beinprothese – zum Glück, wie sie sagt. Seit ihrer Geburt leidet Linda am CHILD-Syndrom (Congenital hemidysplasia with ichthyosiform erythroderma and limb defects) oder einfacher gesagt: einer sehr seltenen, aber sehr schweren Hauterkrankung. Ihre Haut war verhornt, entzündet und sie litt oft an Infektionen auf der Haut. Es war nicht daran zu denken, eine Prothese zu tragen – und ans Schwimmen schon gar nicht. Erst eine am Universitätsklinikum Freiburg entwickelte Salbe brachte die Wende in Lindas Leben.

Das CHILD-Syndrom gehört zu den Ichthyosen, ein Sammelbegriff für seltene Verhornungsstörungen der Haut. Betroffene leiden unter Hautrötungen und lokalen Infektionen. Außerdem bilden sich auf der Haut schwer ablösbare Hautschuppen. Ansteckend sind Ichthyosen nicht. Meist werden sie durch Gendefekte verursacht und können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Bei einer bestimmten schweren Form der Erkrankung kann es bereits mit der Geburt zu Fehlbildungen an den Extremitäten kommen – bis hin zum vollständigen Fehlen von Extremitäten. Zu diesen schweren Formen der Ichthyosen zählt auch das CHILD-Syndrom, an dem Linda leidet. Für die Betroffenen ist die Krankheit mit erheblichen Einschnitten der Lebensqualität verbunden.

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Die Haut ist das größte Organ des menschlichen Körpers. Erkrankungen der Haut sind – gerade zur Sommerzeit – oftmals für alle sichtbar und deshalb für die Betroffenen eine große Belastung.

Salbe enthält Cholesterin-Senker

Heilbar ist das CHILD-Syndrom bislang nicht. Einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Freiburg ist nun ein wichtiger Schritt bei der Behandlung der Betroffenen gelungen. Die Arbeiten wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Teil eines internationalen Forschungsnetzwerkes „E-R ARE“ gefördert. „Wir wissen seit einigen Jahren, dass das CHILD-Syndrom durch einen gestörten Cholesterin-Stoffwechsel verursacht wird. Dabei sammeln sich abnorme Formen von Cholesterin-Vorläufern in der Haut an. Es fehlt aber normales Cholesterin“, erklärt Professorin Cristina Has von der Klinik für Dermatologie am Universitätsklinikum Freiburg. Diese Entdeckung hat ihr Team auf die Idee gebracht, eine neue Behandlung anzuwenden. Sie setzt direkt an den Ursachen des CHILD-Syndroms an, am Cholesterin-Stoffwechsel. Die Wissenschaftlerin erklärt den Ansatz: „Wir haben eine Salbe entwickelt, die auf die Haut aufgetragen wird. Sie enthält den Wirkstoff Simvastatin, einen bekannten und häufig verschriebenen Cholesterin-Senker. Wir vermuten, dass Simvastatin die gestörte Cholesterin-Synthese hemmt und deshalb keine abnormalen Cholesterin-Vorläufer mehr in der Haut produziert werden. Gleichzeitig haben wir der Salbe normales Cholesterin in Form eines Puders beigemischt. So wird der Cholesterin-Mangel dann von außen behoben.“ Die verwendeten Inhaltsstoffe sind in der Medizin bestens bekannt. Sie werden seit Jahren bei der Behandlung von Blut-Fett-Störungen angewendet.

Sichtbare Verbesserung schon nach kurzer Zeit

Bildquelle: ThinkstockKann eine Salbe mit einem bekannten Cholesterinsenker eine schwere Hautkrankheit lindern? Ein Heilversuch lässt Betroffene hoffen.In einem Heilversuch wurde die Salbe über einen Zeitraum von zwei Jahren von drei Patientinnen erprobt. Anfangs wurde die Salbe zweimal täglich auf die betroffenen Hautpartien aufgetragen, am Ende nur noch alle drei Wochen. „Alle Patientinnen haben die Behandlung gut toleriert und über die zwei Jahre traten keine Nebenwirkungen auf“, fasst Dr. Dimitra Kiritsi die Ergebnisse zusammen. Das ist aber noch nicht alles. Auch die Hautgesundheit der Patientinnen verbesserte sich deutlich. Die Verhornung der Haut nahm ab und die Entzündungen wurden weniger. Dermatologische Untersuchungen von Hautproben zeigten, dass sich die Hautstruktur der Patientinnen zu normalisieren begann. „Die von der Erkrankung verursachten Fehlbildungen des Skelettes konnte die Salbe natürlich nicht beheben. Die Hautbefunde und die Lebensqualität der Patientinnen haben sich aber signifikant gebessert“, resümiert Has. Den Patientinnen und Patienten mit CHILD-Syndrom steht daher zukünftig eine Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung. „Allerdings müssen wir die Salbe noch an einer größeren Patientinnen und Patientengruppe untersuchen, bevor wir den Effekt eindeutig einschätzen können“, schränkt Has den erzielten Erfolg ein.

Von häufigen Erkrankungen profitieren

Die Ergebnisse aus Freiburg zeigen, dass in einigen Fällen auch Menschen mit seltenen Erkrankungen von Medikamenten profitieren können, die für häufigere Erkrankungen entwickelt wurden. Für seltene Erkrankungen ist es daher besonders wichtig, dass die Krankheitsursachen gut erforscht werden. Nur so sind gezielte Heilversuche, wie in Freiburg erfolgreich durchgeführt, möglich. Für das Team um die Freiburger Professorin war der Heilversuch nur ein erster Schritt: „Wir würden die Anwendung gerne erweitern. Denn wir vermuten, dass auch andere Ichthyose-Formen behandelt werden könnten“, erklärt Has. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern setzen hierbei auf die Zusammenarbeit mit spezialisierten nationalen und internationalen Zentren. „Das Ziel der Behandlung bei genetischen Hauterkrankungen ist nicht immer eine komplette Heilung. Schon eine Besserung der Haut kann enorm positive Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben“, sagt Has.

Dem hat auch Linda nichts hinzuzufügen. Sie ist froh, dass sie an dem Heilversuch in Freiburg teilnehmen konnte. Für sie ist die neue Situation mit einem großen Zugewinn an Lebensqualität verbunden. Schon morgen früh wird sie wieder im Schwimmbad sein.


E-RARE

Seltene Erkrankungen sind ein Forschungsfeld, das von einer koordinierten internationalen Zusammenarbeit besonders profitieren kann. Das liegt sowohl an der kleinen Zahl von betroffenen Personen in jedem Land als auch an der national unterschiedlich ausgeprägten Forschungsexpertise auf diesem Gebiet. In der ERA-Netz Initiative (ERA steht für European Research Area, Europäischer Forschungsraum) „E-Rare“ haben sich Forschungsförderorganisationen aus 13 EU- und EU-assoziierten Staaten zusammengeschlossen. Gemeinsam fördern sie länderübergreifende Forschungsprojekte zu seltenen Krankheiten. Die internationale Zusammenarbeit soll Synergien schaffen und so das Verständnis zu seltenen Erkrankungen verbessern.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.e-rare.eu.

Ansprechpartnerinnen:
Prof. Dr. Cristina Has Dr. Dimitra Kiritsi
Universitätsklinikum Freiburg
Klinik für Dermatologie und Venerologie
Hauptstraße 7
79104 Freiburg
Tel.: 0761 270-69920
Fax: 0761 270-67200
E-Mail: cristina.has@uniklinik-freiburg.de

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