„Wir brauchen weitere Studien zur Beurteilung der Langzeitwirkung“

Interview mit Prof. Stefan Schreiber, Christian-Albrechts-Universität, Kiel

Im Juli 2007 stellten Sie der Presse eine neue Therapie gegen die Darmerkrankung Morbus Crohn vor. Die Ergebnisse sind am 19. Juli 2007 im New England Journal of Medicine erschienen. Für welche Patienten ist die Therapie geeignet?
Die neue Substanz ist für die Behandlung von Patienten mit kompliziertem Morbus Crohn geeignet. Das Medikament soll zur Langzeittherapie eingesetzt werden, um akute Entzündungsschübe zu unterdrücken.

Warum brauchen wir neue Therapien gegen Morbus Crohn?

Die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind derzeit nicht heilbar. Die Erkrankung betrifft etwa 0,5 Prozent der Deutschen. Das ist zwar relativ selten, aber der  Morbus Crohn trifft meist junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren. Die Crohn Krankheit beeinträchtigt die Lebensqualität der Patienten extrem und lebenslang. In den meisten Fällen reichen die verfügbaren Therapiemöglichkeiten mit Kortison und anderen Immunsuppressiva nicht aus, die Erkrankung in den Griff zu bekommen.

Worin liegen die Vorteile des neuen Präparats?

Der neue Wirkstoff ist wesentlich kleiner als die bisherigen TNF-Antikörper und hat eine sehr starke Bindungskraft zum Tumornekrosefaktor. Die bisher verwendeten Antikörper führen darüber hinaus zum Untergang von T-Lymphozyten und Monozyten, wichtiger Abwehrzellen im Blut. Weil der Antikörper gezielt verkleinert wurde, löst Certolizumab Pegol diesen Zelltod nicht aus. Ob sich daraus jedoch auch ein klinischer Vorteil bei Anwendung im menschlichen Organismus ergeben wird, muss die breit angelegte Anwendung zeigen.

Wer war an der Entwicklung des neuen Medikaments beteiligt?
Die Substanz Certulizomab Pegol wurde von der Firma UCB/Celltech entwickelt. Das vom BMBF geförderte Kompetenznetz Darmerkrankungen war maßgeblich an der klinischen Entwicklungsphase beteiligt und hat sich damit an die vorderste Front der klinischen Forschung katapultiert. Das Netz hat auch schon die Entwicklung der TNF-Antikörper Infliximab und Adalimab unterstützt.

Ist der neue Antikörper auch bei anderen entzündlichen Erkrankungen wirksam?
Ja. Die Zulassung für die Behandlung von Rheuma läuft bereits. Und wir hoffen, bald mit den ersten Studien bei der Colitis ulcerosa beginnen zu können.


Welche Schritte planen Sie als nächstes?
Um die Langzeit- und Nebenwirkungen beurteilen zu können, brauchen wir weitere Untersuchungen mit großen Patientenzahlen nach der Zulassung. Außerdem fanden wir während der Auswertung unserer Studien Hinweise, dass Certolizumab Pegol bei Patienten, die erst seit sehr kurzem unter Morbus Crohn leiden, besonders gut und lang anhaltend wirkt. Dem möchten wir in weiteren klinischen Studien unbedingt nachgehen. Darüber hinaus planen wir größere pharmakogenetische Studien, um DNA-Marker zu identifizieren, mit denen wir zukünftig die individuelle Therapieantwort oder das Risiko von Nebenwirkungen vorhersagen können.