April 2019

| Newsletter 94

Wissenschaft ist ein wichtiger Teil der Gesellschaft

Im Interview erklärt Professor Peter Dabrock, wie es gelingen kann, Gesellschaft und Wissenschaft besser zusammenzubringen, und welchen Beitrag die ELSA-Förderung des BMBF dazu leisten kann.

Professor Peter Dabrock

Professor Dr. Peter Dabrock, von 2016 bis 2020 Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.

Dt. Ethikrat/R. Zensen

Herr Professor Dabrock, warum brauchen wir Forschung zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten?

Prof. Dabrock: Meines Erachtens gibt es hierfür drei wichtige Gründe. Zum einen bedeutet Forschung heute nicht mehr nur, dass wir wissen möchten, wie etwas funktioniert. Vielmehr möchten wir in die Lebensprozesse eingreifen, beispielsweise in den menschlichen Körper und seine Umwelten. Das birgt Risiken. Wir müssen uns fragen, wie sicher diese Forschung ist – und ob wir die Konsequenzen abschätzen können.

Zum anderen ist die Wissenschaft in die Gesellschaft eingebettet. Viele Bürgerinnen und Bürger fordern daher, dass sich die Forschung nach dem Gemeinwohl orientiert. Das gelingt, wenn sich die Menschen beteiligen können. Die sogenannten Bürgerwissenschaften, oder im englischen „Citizen Science“, unterstützen und bereichern zurzeit viele Forschungsbereiche. Das beginnt mit einfachen aber wichtigen Beiträgen wie Vögel oder Sterne zählen. Es beinhaltet aber auch, dass im Falle öffentlicher Förderung die Öffentlichkeit an Großprojekten beteiligt wird, beispielsweise in Form eines Beirates.

Es gibt noch einen dritten wichtigen Grund: Die Forschung muss von sich aus eine Vertrauensbasis in der Bevölkerung schaffen – insbesondere dann, wenn die Forschungsinhalte so komplex sind wie in den Lebenswissenschaften. Denn dann möchten die Menschen zumindest den Institutionen, die solche oft undurchschaubaren Forschungen durchführen, grundsätzlich Vertrauen schenken können. Wo dies gelingt, haben sie die Hoffnung, dass die Forschung im Falle der Krise von sich aus ein entsprechendes Krisen-, Fehler- und Kommunikationsmanagement installiert hat.

Welche bioethischen Themen stehen zurzeit besonders im Fokus?

Das sind alle bioethischen Fragestellungen, die das Zusammenwachsen von Biotechnologie und Informationstechnologie in den Blick nehmen. Angefangen von Grundlagenforschung auf der Ebene von Synthetischer Biologie über unterschiedliche Anwendungen der Genom-Editierung im Humanbereich und in der Landwirtschaft bis hin zur digitalisierten Medizin.

Dieses Zusammenwachsen führt aber auch zu neuen Fragestellungen: Auf welche Weise wollen wir zum Beispiel Daten akquirieren und nutzen? Denn diese beziehen sich nicht mehr nur auf die klassischen Gesundheitsdaten; jedes Datum kann heute gesundheitsrelevant werden. Es wächst zusammen, was bisher nicht zusammengehörte – und manchmal auch tatsächlich nicht zusammengehören sollte. Wie können wir trotzdem die Datensouveränität weiterhin sicherstellen?

Aus diesem Grund liegt ein Schwerpunkt des Ethikrates auf der Souveränität von Daten?

Genau. In absehbarer Zeit werden smarte Medien Daten mit einer Qualität erheben können, wie sie aktuell von Medizinprodukten erreicht wird. Klassische Gesundheitsdaten werden dann noch stärker beispielsweise mit Fitnessdaten zusammenwachsen. Daher müssen wir beispielsweise sicherstellen, dass jeder Einzelne seine Daten über den gesamten Verlauf der Erhebung begleiten und kontrollieren kann – und nicht nur irgendwann einmal am Anfang seine Zustimmung dafür gibt.

Wie wird sich diese Datenvielfalt auf unsere Gesellschaft auswirken?

Sie wird letztendlich auch unsere Auffassung von Gesundheit und Krankheit grundlegend verändern. Jeder wird zukünftig relativ einfach Risikoprofile zu bestimmten Erkrankungen ausfindig machen können. Das wirft beispielsweise die Frage auf, ob und ab welchem Grade Präventions- oder prophylaktische Maßnahmen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden müssen. Das sind Fragestellungen, die wir bislang nur für wenige einzelne genetische Erkrankungen diskutiert haben, beispielsweise im Bereich der Brustkrebsgene BCRA1 und BCRA2. Da der Teufel hier oft im Detail steckt, brauchen wir weitere, kontinuierliche Forschung, um Antworten auf Fragen wie diese zu finden.

Welchen Beitrag kann die ELSA-Forschung liefern?

Die ELSA-Forschung leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, dass sich eine unabhängige Wissenschaft als Teil der Gesellschaft begreifen kann. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Forschung. Gleichzeitig schafft die gesellschaftliche Einbettung Transparenz und wirkt so falschen Erwartungen, aber auch übertriebener Furcht entgegen. Wenn zwischen Wissenschaft und Gesellschaft das Gespräch verbessert wird, dann sehen die Menschen vielleicht besser – und hier zitiere ich die Fantastischen Vier: „Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht.“ Ich füge noch hinzu: Und das ist gut so.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Dr. Peter Dabrock ist evangelischer Theologe und Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 2016 bis 2020 war er Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Der Ethikrat ist ein unabhängiges Gremium, das Empfehlungen zu ethischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Fragen der lebenswissenschaftlichen Forschung herausgibt. Der Ethikrat ist interdisziplinär zusammengesetzt. Die 26 Expertinnen und Experten kommen aus der Ethik, den Naturwissenschaften, der Medizin sowie aus sozialen, ökonomischen und rechtlichen Fächern.

ELSA-Forschung

Die modernen Lebenswissenschaften berühren elementare Fragen des Lebens – von der embryonalen Frühdiagnostik bis hin zum täglichen Gebrauch von Gesundheits-Apps. Das BMBF unterstützt die Forschung zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten, kurz ELSA-Forschung („Ethical Legal and Social Aspects“). Ziel der interdisziplinären ELSA-Forschung ist es, Chancen und Risiken der modernen Lebenswissenschaften zu bewerten und einen Beitrag für den gesellschaftlichen Diskurs zu leisten.