Bewegungsstörung nach Schlaganfall erfordert individuelle Rehabilitation

„Herr M., nun geben Sie sich doch mal mehr Mühe! Sehen Sie doch, wie schön Frau Z. das macht!“ Immer wieder legt der 72-Jährige das Messer aus der Hand und versucht das Brot mit dem Zeigefinger zu schneiden. Herr M. und Frau Z. hatten vor einigen Monaten einen Schlaganfall, von dem eine gestörte Bewegungsausführung - eine sogenannte Apraxie – zurückgeblieben ist.

Die Betroffenen können komplexe Bewegungsabläufe, insbesondere, wenn dabei Gegenstände gebraucht werden - wie Zähne putzen oder eine Tür aufschließen - nicht mehr korrekt ausführen. Obwohl sie nicht gelähmt und die zuständigen Muskeln und Nerven intakt sind, gelingt ihnen die Bewegung nicht. Ursache ist eine Störung in übergeordneten Hirnzentren, die Bewegungen steuern und koordinieren.


Ursache kann in verschiedenen Hirnregionen liegen
Die Aufforderung der Ergotherapeutin, die zweimal in der Woche mit den Patienten wichtige alltägliche Bewegungen übt, hilft Herrn M. nicht. Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie der Universität Lübeck und des Krankenhauses Bogenhausen in München klärt, warum das so ist: Professor Ferdinand Binkofski und sein Team fanden heraus, dass mindestens vier unabhängig arbeitende Netzwerke im Gehirn an solchen komplexen Bewegungsabläufen beteiligt sind. Jede dieser Hirnstrukturen ist für einen bestimmten Teilaspekt der Bewegung zuständig und kann isoliert gestört sein. Zwei Netzwerke sind allein an der Vorbereitung der Bewegung beteiligt, ein anderes dient als kurzzeitiger Arbeitsspeicher für die geplante Bewegung und das vierte steuert die Ausführung. Dass die Behandlung bei Herrn M. nicht so gut anschlägt wie bei Frau Z., liegt nicht an mangelnder Motivation oder fehlendem Willen. Bei ihm ist möglicherweise ein anderes Netzwerk betroffen, sodass er ein anderes Training als seine Leidensgenossin braucht. „Patienten mit einer Apraxie benötigen einen individuellen Reha-Plan“, fordert Binkofski. „Die ideale Standardtherapie gibt es nicht, wohl aber die beste Therapie für den einzelnen Patienten.“

Hauptursache: Schlaganfall und Demenz
Eine Apraxie tritt etwa bei jedem vierten Schlaganfall-Patienten auf. Bei der Mehrzahl dieser Patienten ist die Störung nur vorübergehend. Bestehen die Symptome jedoch länger als zwei Wochen, so bleibt in etwa 30 Prozent der Fälle eine dauerhafte körperliche Behinderung zurück. Auch viele Demenzkranke leiden unter einer Apraxie. In der Rehabilitation sollen die Patienten die Bewegungen durch Imitation wieder erlernen. Das Gehirn muss dazu die Bewegung korrekt wahrnehmen, speichern, planen und schließlich ihre Ausführung koordinieren. Die Lübecker Hirnforscher konnten erstmals nachweisen, dass diese einzelnen Schritte von verschiedenen Netzwerken im Gehirn gesteuert werden. Dazu ließen die Wissenschaftler gesunde Probanden eine völlig neue und unbekannte Bewegung ausführen und registrierten dabei deren Hirnaktivität mit der funktionellen Kernspintomographie (fMRT). Ohne Röntgenstrahlen und ohne Kontrastmittel zeigt diese moderne Methode, welche Hirnareale aktiv oder inaktiv sind, indem sie den Blutfluss im Gehirn misst.

Neben Bewegungen, bei denen Gegenstände oder Werkzeuge benutzt werden, kann bei Apraxien auch die Imitation von Gesten oder die Gesichtsmimik betroffen sein. Viele Aspekte der Bewegungsstörung sind noch ungeklärt, zur Therapie gibt es derzeit keine klaren Empfehlungen. Im BMBF-Verbundprojekt Apraxie gehen mehrere Forschergruppen verschiedenen Fragen der gestörten Bewegungssteuerung nach, um ihr Wissen miteinander zu verknüpfen. Die Ergebnisse aus Lübeck und München tragen zur Aufklärung der Apraxien und zum besseren Verständnis der Patienten bei. Binkofski: „Vor diesem Hintergrund ist es unmöglich zu behaupten, ein Patient gebe sich nicht genug Mühe.“ Langfristig bilden die neuen Erkenntnisse die Grundlage für individuelle und somit bessere Therapien.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ferdinand Binkofski
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Lübeck
Klinik für Neurologie
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
Tel.: 0451 500-2499
Fax: 0451 500-2489
E-Mail: ferdinand.binkofski@neuro.uni-luebeck.de