20.03.2024

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COVID-19: Immunreaktion offenbar Auslöser neurologischer Symptome

Nicht eine direkte Infektion des Gehirns mit dem SARS-CoV-2-Virus, sondern die körpereigene Immunabwehr löst vermutlich neurologische Beschwerden wie Fatigue aus. Dafür spricht eine Studie im Rahmen des BMBF-geförderten Netzwerks Universitätsmedizin (NUM).

Liegende, erschöpft aussehende Frau

Entzündungsreaktionen in den infizierten Körperorganen könnten für Erschöpfung, Gedächtnisprobleme und andere neurologische Symptome nach einer COVID-19-Erkrankung verantwortlich sein.

BMBF / DLR-PT

Die Ursache von Erschöpfung, Kopfschmerzen, Gedächtnisproblemen und anderen neurologischen Symptomen nach einer SARS-CoV-2-Infektion ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Bislang konnten keine eindeutigen Belege für eine direkte Infektion des Gehirns gefunden werden. Vieles spricht dafür, dass die Beschwerden eine Art Nebenwirkung der starken Immunreaktion anderer infizierter Körperorgane wie der Lunge sind. Bestätigt wird diese These nun in einer Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Studie entstand im Rahmen des Nationalen Obduktionsnetzwerks (NATON), einer Forschungsinfrastruktur des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Netzwerk Universitätsmedizin (NUM).

Gehirnzellen reagieren auf Botenstoffe des Immunsystem

Für die Studie analysierte eine Forschungsgruppe um die Neuropathologinnen Dr. Helena Radbruch und Dr. Josefine Radke  sowie ihrem Kollegen Professor Dr. Christian Conrad verschiedene Bereiche des Gehirns von 21 Menschen, die aufgrund einer schweren Corona-Infektion im Krankenhaus, zumeist auf der Intensivstation, verstorben waren. Die Forschenden konnten zwar in einigen Fällen Viruspartikel im Gehirn nachweisen, fanden bei ihren Untersuchungen aber keine infizierten Nervenzellen. „Wir gehen davon aus, dass die Immunzellen das Virus im Körper aufgenommen haben und dann ins Gehirn gewandert sind“, erklärt Radke. Dabei tragen sie Viruspartikel mit sich, diese infizieren aber keine Gehirnzellen.

Dennoch konnten die Forschenden auffällige Veränderungen in manchen Gehirnzellen von COVID-19-Betroffenen feststellen wie Botenstoffe, die typischerweise bei der Immunabwehr von Virusinfektionen ausgeschüttet werden. Nachgewiesen hat die Forschungsgruppe diese Botenstoffe vor allem im Hirnstamm – jenem Teil des Gehirns, der Antrieb, Motivation und Stimmungslage eines Menschen steuert. „Diese molekulare Reaktion könnte die neurologischen Beschwerden von COVID-19-Betroffenen gut erklären“, schlussfolgert Conrad.

Diese reaktiven Nervenzellen fanden sich hauptsächlich im sogenannten Kern des Vagusnervs, der im Hirnstamm sitzt und dessen Fortsätze bis in die Organe Lunge, Darm und Herz reichen. „Vereinfacht interpretieren wir unsere Daten so, dass der Vagusnerv die Entzündungsreaktion in unterschiedlichen Organen des Körpers ‚spürt‘ und darauf im Hirnstamm reagiert – ganz ohne eine echte Infektion von Hirngewebe“, resümiert Radbruch.

Möglicher Zusammenhang mit Long COVID

Normalerweise reagieren die Nervenzellen im Gehirn nur zeitlich begrenzt auf die Entzündung, und die molekularen Veränderungen klingen in den allermeisten Fällen wieder ab, wie die Forschenden in ihren bisherigen Untersuchungen festgestellt haben. Sie halten es aber für möglich, dass bei einigen Betroffen die Entzündungen in den infizierten Körperorganen chronisch werden und damit auch dauerhaft die Reaktionen in den Gehirnzellen und in der Folge die neurologischen Symptome auslösen.

Netzwerk Universitätsmedizin (NUM)

Das NUM wurde im April 2020 gegründet, um die COVID-19-Forschung an den 36 deutschen Universitätskliniken zu koordinieren. Ziel des NUM ist es, die Zusammenarbeit in der deutschen Universitätsmedizin maßgeblich zu fördern und so unter anderem eine bessere Vorbereitung auf zukünftige Gesundheitskrisen zu ermöglichen. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt auf der gemeinsamen Erhebung und Nutzung komplexer medizinischer Forschungsdaten. Zukünftig sollen im NUM auch andere Themen mit hoher Relevanz für die Gesundheitsversorgung in Deutschland gemeinsam mit möglichst vielen Partnereinrichtungen aus Wissenschaft, Gesundheitswesen und Gesellschaft erforscht werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das NUM bis 2025 mit insgesamt bis zu 390 Millionen Euro.