Mai 2021

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Forschung zu seltenen autoimmunbedingten Gehirnentzündungen

Der Verbund CONNECT-GENERATE erforscht autoimmunbedingte Gehirnentzündungen, damit diese schweren Erkrankungen zukünftig besser therapiert werden können. Ihre Erkenntnisse zu Antikörpern könnten auch dazu beitragen, eine Therapie gegen Covid-19 zu entwickeln.

Logo Verbund CONNECT-GENERATE

Wie können wir Covid-­19 wirkungsvoll behandeln? Mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit. Eine mögliche Antwort könnte die passive Immunisierung sein. Hier werden Erkrankten Antikörper gespritzt, die von Personen stammen, die die Erkrankung bereits durchlaufen haben oder durch eine Impfung vor ihr geschützt sind. Die Antikörper der Spenderinnen und Spender binden im Körper der Erkrankten an die Viren und verhindern so, dass weitere Zellen infiziert werden.

Dargestellt ist ein Neuron des Hippocampus eines Nagetiers, das in einer Zellkultur gezüchtet wurde.

Dargestellt ist ein Neuron des Hippocampus eines Nagetiers, das in einer Zellkultur gezüchtet wurde. Ein rekombinanter Antikörper menschlichen Ursprungs, der sich gegen ein Oberflächenprotein des Neurons richtet, wurde mit einem grünen Farbstoff markiert. Dadurch leuchten die Stellen, an denen der Antikörper gebunden hat, grün. Der Zellkern des Neurons ist blau dargestellt.

Leypoldt Labor, CAU Kiel

Einen vielversprechenden Ansatz, Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus in ausreichender Menge produzieren zu können, verfolgen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professor Dr. Harald Prüß von der Berliner Charité und dem Berliner Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Sie konnten aus dem Blut von Covid-19-Patienten fast 600 verschiedene Antikörper gegen das Coronavirus gewinnen und vermehren. „Derzeit schaffen wir die Voraussetzungen dafür, den wirksamsten der identifizierten Antikörper in ausreichender Menge und höchstmöglicher Qualität für eine passive Immunisierung produzieren zu können“, so Prüß. „Mit diesen Antikörpern könnten wir dann womöglich nicht nur Erkrankte behandeln, sondern auch gesunde Personen vorsorglich schützen, wenn sie Kontakt zu Infizierten hatten.“ Die passive Immunisierung wird eine Impfung allerdings nicht ersetzen können, da die Schutzfunktion nur von relativ kurzer Dauer ist.

Autoimmunbedingte Gehirnentzündungen

Als autoimmunbedingte Gehirnentzündungen wird eine Gruppe von Erkrankungen bezeichnet, bei denen sich körpereigene Antikörper gegen Oberflächenproteine von Nervenzellen richten. Als Folge können schwere geistige und körperliche Beeinträchtigungen auftreten. Bislang können diese Erkrankungen nur behandelt werden, indem die Immunreaktion des Körpers eher unspezifisch unterdrückt wird. Das führt allerdings dazu, dass sich der Körper nicht mehr ausreichend beispielsweise gegen Krankheitserreger wehren kann. Autoimmunbedingte Gehirnentzündungen betreffen etwa einen von 100.000 Menschen; sie gehören damit zur Gruppe der sogenannten Seltenen Erkrankungen.

Die Forschungsarbeiten des Berliner Teams führten zu einer weiteren Entdeckung: Einige der hochwirksamen Antikörper binden im Tiermodell auch an körpereigene Proteine im Gehirn oder anderen Organen. Inwiefern diese Bindung auch unter natürlichen Bedingungen im menschlichen Körper stattfindet und ob sie zu Funktionsstörungen in den jeweiligen Organen führen kann, untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zurzeit. Möglicherweise könnte diese Beobachtung erklären, warum einige Covid-19-Patientinnen und -Patienten unter neurologischen Beschwerden leiden – teilweise auch erst, wenn die Erkrankung bereits überstanden scheint.

Für ihre Untersuchungen nutzen die Forschenden die Techniken zur Klonierung und Herstellung von Antikörpern im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten CONNECT-GENERATE-Verbundes. Der Verbund ist Teil des GENERATE-Netzwerks, in dem sich rund 100 Forschungszentren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengeschlossen haben. Ziel des Netzwerks ist es, autoimmunbedingte Gehirnentzündungen zukünftig frühzeitiger zu diagnostizieren und wirkungsvoller behandeln zu können.

Ziel des interdisziplinären Forschungsverbundes CONNECT-GENERATE ist es, das Spektrum der autoimmunbedingten Gehirnentzündungen besser zu verstehen und ein Forschungs- und Behandlungsnetzwerk für Patientinnen und Patienten aufzubauen. „Aufgrund der Seltenheit der autoimmunbedingten Gehirnentzündungen können wir neue Erkenntnisse über die Häufigkeit, den Verlauf und die Behandlungsmöglichkeiten nur innerhalb eines größeren Behandlungsnetzwerks gewinnen. Nur so erreichen wir Fallzahlen, die hoch genug sind, um belastbare Aussagen treffen zu können“, sagt Dr. Frank Leypoldt. Der Mediziner arbeitet in der Klinik für Neurologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und koordiniert den Forschungsverbund CONNECT-GENERATE.

Erforschung Seltener Erkrankungen

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert zur Erforschung Seltener Erkrankungen bereits seit 2003 deutschlandweit vernetzte Forschergruppen. In der nunmehr vierten Förderphase (2019 bis 2022) werden elf Forschungsverbünde, darunter auch CONNECT-GENERATE, mit einer Gesamtsumme von 33 Millionen Euro gefördert.

Mehr Informationen über die einzelnen Verbünde und ihre Forschungsschwerpunkte finden sich hier: www.research4rare.de

Teil des Forschungsverbundes ist unter anderem die Studie GENERATE-BOOST, mit der die Behandlungsmöglichkeiten für schwer ausgeprägte Krankheitsverläufe verbessert werden sollen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler testen, inwieweit die zusätzliche Gabe von Bortezomib die immunmodulierende Standardtherapie wirkungsvoll ergänzt. Bortezomib wird eigentlich zur Therapie von Blutkrebserkrankungen eingesetzt. Der Wirkstoff richtet sich gegen Zellen mit hoher Proteinproduktion, beispielsweise Plasmazellen, die auch für die Produktion der Autoantikörper verantwortlich sind, die autoimmunbedingte Gehirnentzündungen auslösen. „Mit unserer Studie testen wir, ob Bortezomib die Zahl der antikörperproduzierenden Plasmazellen verringern kann. Mit der derzeitig angewendeten Therapie erreichen wir diese Zellen nicht“, erläutert Studienleiter Dr. Christian Geis, Professor für Neurologie und Translationale Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Jena. Die Studiendurchführung wird durch die Pandemiebedingungen zurzeit erschwert, da die schwer erkrankten Patientinnen und Patienten immunsupprimierend behandelt werden. Dennoch konnten bereits die ersten Patienten das mehrmonatige Programm der Studie komplett durchlaufen und weitere Erkrankte konnten erfolgreich in die Studie aufgenommen werden.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Harald Prüß
Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Berlin
Charitéplatz 1
10117 Berlin
030 450-560560
harald.pruess@dzne.de

PD Dr. Frank Leypoldt
Institut für Klinische Chemie und Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Arnold-Heller-Straße 3
24105 Kiel
0431 500-16209
frank.leypoldt@uksh.de

Prof. Dr. Christian Geis
Sektion für Translationale Neuroimmunologie
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Jena
Am Klinikum 1
07747 Jena
03641 9323-413
christian.geis@med.uni-jena.de