August 2021

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Molekularer Fingerabdruck liefert Hinweise für Covid-19-Verlauf

Die Erkrankung Covid-19 umfasst mindestens fünf verschiedene Varianten, die sich durch die Reaktion des Immunsystems unterscheiden. Forschungen am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) könnten zu einer besseren Behandlung beitragen.

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Das Coronavirus SARS-CoV-2 kann sich auf unterschiedlichste Weise auf den menschlichen Organismus auswirken: Während manche Infizierte den Virusbefall gar nicht zu bemerken scheinen, kommt es bei anderen zu Covid-19 – einer Erkrankung, die teils milde verlaufen, aber auch mit schwerwiegenden Symptomen bis hin zur lebensbedrohlichen Organentzündung einhergehen kann. Studien zeichnen allmählich ein Bild davon, wie die verschiedenen Verläufe zustande kommen. „Inzwischen weiß man, dass die Reaktion des Immunsystems auf den Erreger eine Schlüsselrolle spielt“, sagt Dr. Anna Aschenbrenner, Wissenschaftlerin am DZNE und am Life & Medical Sciences-Institut (LIMES) der Universität Bonn. „Das war der Beweggrund, dass wir uns die weißen Blutkörperchen genauer angeschaut haben. Diese Zellen sind zentrale Akteure der Immunabwehr. Ihr Zustand sagt viel darüber aus, wie der Körper mit dem Virus umgeht.“

Forschungsarbeit in internationaler Kooperation

Die Bonner Forscherin untersuchte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen das Blut von 95 Menschen mit und ohne Covid-19. An der Studie beteiligte sich die „Deutsche Covid-19 OMICS Initiative“ – ein bundesweiter Verbund von Universitäten und Forschungseinrichtungen. Wissenschaftliche Partner aus Griechenland und den Niederlanden steuerten Blutproben bei.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmten mit modernsten Verfahren der Genomforschung das sogenannte Transkriptom der Immunzellen – dabei handelt es sich um eine Art Fingerabdruck der Genaktivität. Anhand der so generierten Daten, auch „Expressionsmuster“ genannt, konnten die Forschenden erkennen, welche Gene in den Immunzellen ein- bzw. ausgeschaltet waren. Dadurch ergaben sich detaillierte Informationen über den Zustand der Zellen. Es stellte sich heraus, dass das Blutbild maßgeblich durch die Familie der „Neutrophilen“ bestimmt war. „Diese Zellen sind die häufigsten der weißen Blutkörperchen und werden schon sehr früh zur Abwehr von Infektionen mobilisiert“, so Aschenbrenner. „Sie bestimmen aber auch das spätere Krankheitsbild von schweren Covid-19-Verläufen.“

Grafische Darstellung des SARS-CoV-2-Virus.

Mit modernsten Verfahren der Genomforschung gewonnene Informationen zum Zustand der Immunzellen geben Hinweise auf den Krankheitsverlauf nach einer SARS-CoV-2-Infektion.

dottedhippo/iStock

Unterscheidung in fünf Phänotypen

Die Analyse der Genaktivität brachte noch weitere Erkenntnisse. „Die Expressionsmuster der Immunzellen bei Menschen mit Covid-19 unterscheiden sich grundsätzlich von denen gesunder Personen. Die Genaktivität, die wir im Blut auslesen können, ist stark verändert“, sagt Dr. Thomas Ulas, Bioinformatiker am DZNE. Unter den Patientinnen und Patienten zeigten sich ebenfalls markante Unterschiede. Auf dieser Grundlage konnten die Forschenden fünf Gruppen – sogenannte molekulare Phänotypen – identifizieren. Zwei davon stehen für schwere Krankheitsverläufe, die anderen drei für moderatere. „Die von uns untersuchten Blutproben stammen aus dem Frühjahr 2020 und bilden das damalige Infektionsgeschehen ab. Es ist nicht auszuschließen, dass sich mit dem Aufkommen neuer Virusvarianten auch die Phänotypen der Immunreaktion verändern. Ob dem so ist, muss sich noch zeigen“, so Ulas.

Bestandteil der Studie war auch der Vergleich von Covid-19 mit anderen Erkrankungen. Die Forschenden griffen dafür auf Informationen zur Genaktivität zurück, die in wissenschaftlichen Datenbanken hinterlegt waren. Sie berücksichtigten dabei ein breites Spektrum an Erkrankungen: darunter Influenza, HIV, Tuberkulose, bakterielle Sepsis und rheumatoide Arthritis. „Alle fünf Covid-19-Phänotypen unterscheiden sich von den übrigen Erkrankungen, die wir untersucht haben“, resümiert Ulas die Ergebnisse. „Covid-19 hat eine einzigartige Biologie, die sich in der Genaktivität der weißen Blutkörperchen widerspiegelt.“

Suche nach Wirkstoffen

Die Forschenden suchten auch nach möglichen Medikamenten gegen Covid-19. Dazu nutzten sie die in Datenbanken hinterlegte Wirkung von rund 900 zugelassenen Medikamenten auf die Ex-pressionsmuster von Zellen. „Wir haben berechnet, welche Pharmaka den veränderten Genaktivitätsprofilen der einzelnen Covid-19-Phänotypen entgegenwirken könnten“, beschreibt Aschenbrenner die Vorgehensweise. Auf dieser Grundlage konnten Wirkstoffkandidaten für die Therapie identifiziert werden. „Schon im April 2020 haben wir für Dexamethason eine potenzielle Wirksamkeit bei einer der von uns identifizierten Patientengruppen mit schwerem Verlauf errechnet, die sich inzwischen durch andere Untersuchungen bestätigt hat. Weitere der von uns identifizierten Treffer, wie zum Beispiel Imatinib, Nintedanib oder Baricitinib, werden inzwischen in klinischen Studien getestet.“

Originalpublikationen:
Aschenbrenner A, et al. Disease severity-specific neutrophil signatures in blood transcriptomes stratify COVID-19 patients. Genome Medicine 2021. doi: 10.1186/s13073-020-00823-5

Ulas T, Aschenbrenner A. Neue Krankheiten mit Bluttranskriptomik entschlüsseln. BIOspektrum 2021. doi: 10.1007/s12268-021-1590-8

Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE)

Das DZNE erforscht sämtliche Aspekte neurodegenerativer Erkrankungen (wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson und ALS), um neue Ansätze der Prävention, Therapie und Patientenversorgung zu entwickeln. Durch seine zehn Standorte bündelt es bundesweite Expertise innerhalb einer Forschungsorganisation. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene.
Das DZNE ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und gehört zu den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiiert wurden, um Maßnahmen gegen die wichtigsten Volkskrankheiten zu entwickeln. Es wird vom BMBF und von den Bundesländern gefördert, in denen die Standorte des DZNE angesiedelt sind.
Weitere Informationen im Internet unter www.dzne.de sowie auf Facebook unter www.dzne.de/facebook

Ansprechpersonen:
Dr. Anna Aschenbrenner
Dr. Thomas Ulas
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Systemmedizin
Venusberg-Campus 1/99
53127 Bonn
anna.aschenbrenner@dzne.de
thomas.ulas@dzne.de

Pressekontakt:
Dr. Marcus Neitzert
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Stabsstelle Kommunikation
Venusberg-Campus 1/99
53127 Bonn
marcus.neitzert@dzne.de