06.11.2023

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Nierenerkrankungen und ADHS können gemeinsam auftreten

Kinder mit zystischen Nierenerkrankungen können auch an spezifischen Verhaltensauffälligkeiten leiden. Dieses Ergebnis aus dem BMBF-geförderten Forschungsverbund NEOCYST ermöglicht eine frühzeitigere Diagnose und bessere Versorgung der Betroffenen.

Mutter und Kind spielen am Tisch mit bunten Figuren

Konzentrationsschwierigkeiten sind ein typisches Symptom für ADHS. Sie können bei Kindern mit bestimmten Nierenerkrankungen gehäuft auftreten. Ein Test soll eine frühzeitige Diagnose und damit auch bessere Therapie ermöglichen.

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Zystische Nierenerkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten sind gesundheitliche Probleme von Kindern, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, offenbar aber auch gleichzeitig auftreten können. Ein Teilprojekt des Forschungsverbundes NEOCYST hat nun erstmals systematisch untersucht, ob es hier einen Zusammenhang gibt. Das Ergebnis ist eindeutig: Kinder mit bestimmten zystischen Nierenerkrankungen zeigen öfter als gesunde Kinder Symptome einer ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) und kognitive Beeinträchtigungen. Zudem beobachtete man bei diesen Kindern häufiger Schwierigkeiten im sozialen Miteinander, die auch im Rahmen einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) vorkommen können. Bisherige Ergebnisse zeigen aber nur selten alle ASS-Symptome bei einem einzelnen Kind. Die Forschungsarbeiten im Rahmen von NEOCYST werden durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2016 in der nunmehr dritten Förderphase gefördert.

Beide Erkrankungen haben vielfältige Erscheinungsformen

Zystische Nierenerkrankungen kommen bei Kindern glücklicherweise nur selten vor. Wenn sie aber auftreten, sind die Einflussfaktoren, Symptome und Verläufe ganz unterschiedlich und daher schwer zu diagnostizieren und zu behandeln. Einige der Betroffenen brauchen im Verlauf der Erkrankung eine Nierenersatztherapie, also Dialyse oder auch eine Transplantation, denn heilbar sind diese genetisch bedingten Erkrankungen nicht. Auch die Verhaltensauffälligkeiten sind mit ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen, Schweregraden und Verlaufsformen verbunden und können sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzen.

„Um feststellen zu können, ob es zwischen beiden Erkrankungsgruppen wirklich eine Verbindung gibt, bedurfte es der Expertise aus den unterschiedlichsten Fachgebieten“, erklärt Professorin Dr. Stefanie Weber, die das Teilprojekt zusammen mit Dr. Inge Kamp-Becker, Professorin für Autismus-Spektrum-Störung und Dr. Katja Becker, Professorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie im Verbund NEOCYST leitet. Daher arbeiten im Verbund Expertinnen und Experten aus der Kindernephrologie, Kinder- und Jugendpsychologie, Humangenetik, Epidemiologie, Zellbiologie und Bioinformatik eng zusammen. Darüber hinaus waren Patientenvertretungen und Selbsthilfegruppen beteiligt.

Die Forschungsgruppe ging bei ihren Analysen schrittweise vor. Zunächst identifizierte sie anhand von Daten eines nationalen Registers die Kinder, die aufgrund einer bestimmten genetischen Veränderung offenbar ein besonders hohes Risiko für neuropsycho­logische oder psychische Erkrankungen haben. Später wurden die Analysen auf weitere zystische Nierenerkrankungen ausgeweitet. Anhand der Registerdaten und der Untersuchung betroffener Kinder überprüften die Forschenden verschiedenste Parameter. Sie untersuchten, ob bestimmte Verhaltensmuster besonders häufig auftraten und welche Auffälligkeiten bereits im frühen Kindesalter (ab 1,5 Jahre) vorlagen. Wenn sich in den ersten Analysen Auffälligkeiten zeigten, wurden die betroffenen Familien in die Institutsambulanz der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie für eine ausführliche Untersuchung eingeladen. Nach der Untersuchung erhielten die Familien eine individuelle Rückmeldung sowie Empfehlungen für mögliche Therapien.  

Erarbeitung von Testverfahren für die Praxis

Aus den Ergebnissen leiteten die Forschenden krankheitsspezifische Risikoprofile ab, mit deren Hilfe gefährdete Kinder schneller identifiziert werden können. „Mit den Erkenntnissen aus diesem Forschungsprojekt sollen Ärztinnen und Ärzte nun bei einer entsprechenden Diagnose frühzeitig auf neuropsychologische Symptome achten, um gegebenenfalls umgehend eine geeignete Therapie einleiten zu können. Wichtig ist auch, betroffene Familien zeitnah zu beraten“, erklärt Weber.

Zystische Nierenerkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten

Über 50 Gene sind an zystischen Nierenerkrankungen beteiligt, und sie verursachen jeweils unterschiedliche Krankheitsbilder (Nephropathien). Bei der HNF1B-Nephropathie weist ein Teil der Betroffenen eine bestimmte genetische Veränderung auf, bei der ein größerer chromosomaler Abschnitt, auf dem das HNF1B- Gen liegt, verloren gegangen ist (Gen-Deletion). Die Nierenerkrankung verläuft häufig langsam, kann aber im späteren Alter zu einem Diabetes mellitus Typ II und weiteren Auffälligkeiten führen. Die Besonderheit: bei einigen der betroffenen Kinder wurde in der Vergangenheit besonders häufig eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert. Charakteristisch für diese Erkrankung sind Schwierigkeiten im sozialen Miteinander und der Kommunikation sowie stereotypes Verhalten wie stets wiederkehrende Bewegungsabläufe oder wiederholtes Fragen, Das Forschungsprojekt zeigt, dass Betroffene mit der HNF1B-Gen-Deletion zwar häufig einzelne Symptome von Autismus aufweisen, allerdings konnte kein erhöhtes Risiko für die Gesamtheit der Autismus-Spektrum-Störung nachgewiesen werden. Dagegen fanden sich bei einem Teil der Kinder gehäuft Symptome aus dem ADHS-Formenkreis. Diese Kinder sind häufig motorisch unruhig, können sich schlecht konzentrieren und zu impulsivem Verhalten neigen.