29.05.2020

| Aktuelle Meldung

SmICS: Smarte Software gegen SARS-CoV-2

Ein elektronisches Frühwarnsystem soll helfen Infektionen in Krankenhäusern früh zu erkennen. Das HiGHmed-Konsortium, Mitglied der BMBF-Medizininformatik-Initiative, entwickelt die Software und will mit ihr Übertragungswege von SARS-CoV-2 aufspüren.

Mitarbeitende des HiGHmed-Konsortiums überprüft Daten anhand eines elektronischen Frühwarnsystems

Besonders in der aktuellen Corona-Pandemie ist das Wissen um Infektionsfälle, Verdachtspatienten und Infektionen bei Beschäftigten essentiell: Personen, die einem Kontaktrisiko ausgesetzt waren, lassen sich dank SmICS in einem Netzwerk darstellen und schnell erfassen.

Universitätsmedizin Göttingen

Im Kampf gegen das neue Coronavirus SARS-CoV-2 setzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ärztinnen und Ärzte des HiGHmed-Konsortiums auf einen elektronischen Helfer: Über das Computer-basierte Frühwarnsystem SmICS können sie Infektionen, Verdachtsfälle und mögliche Übertragungswege aufspüren und so frühzeitig eindämmen.

Das Kürzel SmICS steht für „Smart Infection Control System“, eine Software, die von dem an der Medizininformatik-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) beteiligten Konsortium HiGHmed entwickelt wird – ursprünglich, um bakteriellen Erregern auf die Spur zu kommen, die beispielweise über einen Händekontakt übertragen werden. Aktuellsten Daten zufolge werden 672.000 der häufigsten Infektionen in Europa jedes Jahr durch sogenannte multiresistente Bakterien verursacht. Etwa zwei Drittel dieser Infektionen, an denen rund 33.000 Menschen pro Jahr sterben, sind mit dem Gesundheitssystem assoziiert.

Forschungsteams an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und der Charité Universitätsmedizin Berlin unter Beteiligung weiterer Partner haben getestet, ob sich die Software auch auf ein pandemisches, sektorenübergreifend auftretendes, via Tröpfchen übertragbares Virus wie SARS-CoV-2 anwenden lässt.

„Mit SmICS vereinen wir Patienten-, Erreger- und Bewegungsdaten miteinander und stellen sie als Prozesse dar. Über ein interaktives Dashboard können wir Kontaktnetzwerke visualisieren, die Patientenhistorie mit Kreuzungspunkten zurückverfolgen, sprich Kontakte und potentielle Übertragungen evaluieren. Auch epidemiologische Kurven und tagesaktuelle Fallzahlen werden analysiert und visualisiert“, erläutert Professorin Dr. Simone Scheithauer von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), die klinische Leiterin des Projektes.

Gerade in der aktuellen Corona-Pandemie ist es eine besondere Herausforderung, einzelne Infektionen zurückzuverfolgen und potentielle Übertragungswege frühzeitig zu identifizieren – entweder von Patientinnen und Patienten auf Klinikbeschäftigte oder umgekehrt. „Eine möglichst frühzeitige Verhinderung von Infektionen in Krankenhäusern, anderen Gesundheitseinrichtungen und Seniorenheimen, werden in den nächsten Monaten eine zentrale Rolle dabei spielen, die Pandemie unter Kontrolle zu halten und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten“, betont Scheithauer.

Informationen bündeln, komplexe Zusammenhänge aufzeigen

Die Erkennung von möglichen Infektionsclustern und Ausbrüchen ist bislang unzureichend; die Informationen um die Zusammenhänge sind oft zwar verfügbar, aber in unterschiedlichen IT-Systemen gespeichert und nicht miteinander verknüpft.

Hier setzt SmICS an: Die Software erlaubt eine komplette Rückverfolgung in Echtzeit und damit ein sofortiges Eingreifen. Das System vereint mikrobiologische oder virologische Befunde aus unterschiedlichen Laborinformationssystemen und berücksichtigt die verschiedenen Aufenthaltsorte von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus. Zusammen mit weiteren Datenquellen werden sie in einem System strukturiert abgelegt und als Netzwerk dargestellt. In einem weiteren Schritt wurden auf dieser Basis Algorithmen entwickelt, um statistisch signifikante Häufungen erkennen zu können. Die Analysen erfolgen sowohl mit gängigen statistischen Modellen als auch mit Methoden des maschinellen Lernens durch die Partner am Robert Koch-Institut (RKI), am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und der Industrie. Die interaktive Darstellung wird von Forschern der TU Darmstadt entwickelt.

Ressourcen sparen, Patientensicherheit erhöhen

Nach Einschätzung der Forschenden kann SmICS einen wichtigen Betrag dazu leisten, die Patientensicherheit zu erhöhen und einen unnötigen Ressourcenverbrauch im Krankenhaus durch ein verzögertes Ausbruchsmanagement zu vermeiden. Risikofaktoren für derartige Ereignisse können klinikübergreifend identifiziert und Best-Practice-Modelle definiert werden. Auch die Forschung profitiert von dem System langfristig über die aktuelle Corona-Pandemie hinaus:  „Die Aggregation großer Datensätze ermöglicht einen grundsätzlich neuen Zugang zur Erstellung neuer Hypothesen zu Übertragungsmechanismen“, sagt Professor Roland Eils, Koordinator des HiGHmed-Konsortiums. „Diese Hypothesen können wir dann in prospektiven Studien überprüfen.“ So könnten beispielsweise Fragen der regional unterschiedlichen Verbreitung von Infektionen und Übertragungswegen geklärt sowie weitere Einflussfaktoren charakterisiert werden.

Open source-System nicht nur für HiGHmed-Standorte

Aktuell kommt SmICS an den Gründungsstandorten des HiGHmed-Konsortiums Hannover, Göttingen und Heidelberg zum Einsatz, aber auch an der Charité Universitätsmedizin Berlin und den Universitätskliniken Münster sowie Schleswig-Holstein. Gemeinsam haben das RKI und das HZI an den zugrunde liegenden Algorithmen gearbeitet, die Visualisierung wurde an der Technischen Universität Darmstadt erarbeitet. „Als klassischer Anwendungsfall der Medizininformatik-Initiative wurde SmICS als open source-System entwickelt, das für alle zugänglich ist“, sagt Professor Dr. Michael Marschollek, der Leiter der technischen Entwicklung. „SmICS wird derzeit um zusätzliche Funktionen erweitert und in Kürze an weitere HiGHmed-Standorte ausgeliefert. Die Software steht aber auch allen anderen Universitätskliniken zur Verfügung."

Das HiGHmed-Konsortium zielt darauf ab, die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern sowie die klinische Forschung durch neue medizininformatische Lösungen effizienter zu machen. Ihm gehören acht Universitätskliniken, neun akademische Partner, fünf Industriepartner sowie weitere Einrichtungen an. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das HiGHmed-Konsortium im Rahmen der Medizininformatik-Initiative und stellt dafür von 2018 bis 2021 rund 41 Millionen Euro bereit.