Mai 2021

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Subtypen bei Vorstufe des Diabetes entdeckt

Typ-2-Diabetes entwickelt sich über Jahre. Langzeitstudien zeigen, dass es bereits in einer sehr frühen Phase sechs klar abgrenzbare Subtypen gibt. Die Einteilung kann künftig helfen, durch eine gezielte Prävention die Entstehung von Diabetes zu verhindern.

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Diabetes ist weltweit auf dem Vormarsch. Seit 1980 hat sich die Zahl der Menschen mit Diabetes vervierfacht. In Deutschland sind mittlerweile mehr als acht Millionen Menschen von der gravierenden Stoffwechselstörung betroffen. Meist entwickelt sich die Erkrankung schleichend über eine Vorstufe, den Prädiabetes. Auch wenn die Betroffenen selbst nichts merken und die Blutzuckerwerte noch unter dem kritischen Diagnosewert liegen, ist die Regulation des Blutzuckerspiegels schon in dieser Phase leicht beeinträchtigt. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen jetzt erstmals, dass es sechs klar abgrenzbare Subtypen gibt, die sich in der Krankheitsentstehung, dem Risiko für Diabetes und der Entwicklung von Folgeerkrankungen unterscheiden. An der zugrunde liegenden Studie waren das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) des Helmholtz Zentrums München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, das Universitätsklinikum Tübingen und das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) beteiligt.

„Bisher konnte man bei Menschen mit Prädiabetes nicht vorhersehen, ob sie einen Diabetes entwickeln und Risiken für schwere Folgeerkrankungen wie Nierenversagen haben oder ob sie nur eine harmlose Form von leicht höheren Blutzuckerwerten ohne bedeutsames Risiko aufweisen“, erläutert Professor Dr. Hans-Ulrich Häring, der die Studie vor 25 Jahren initiiert hat. Eine solche Unterscheidung ist jedoch wichtig, um der Stoffwechselerkrankung gezielt vorbeugen zu können.

Grafische Darstellung von sechs männlichen Oberkörpern. Diese symbolisieren die sechs Subtypen von Prädiabetes.

Bei Menschen mit Prädiabetes gibt es sechs klar abgrenzbare Subtypen (Cluster), die sich in der Krankheitsentstehung, dem Risiko für Diabetes und der Entwicklung von Folgeerkrankungen unterscheiden.

IDM, DZD

Prädiabetes: Sechs unterschiedliche Cluster identifiziert

Frau sticht sich mit Blutzuckermessgerät in den Finger.

Typ-­2­-Diabetes entwickelt sich aus einer Vorstufe, dem sogenannten Prädiabetes. Dieser Prozess dauert meist viele Jahre.
 

pikselstock/Adobe Stock

Die Arbeitsgruppe um Häring und seinen Kollegen Professor Dr. Andreas Fritsche am Universitätsklinikum in Tübingen hat den Stoffwechsel von noch als gesund geltenden Personen mit Prädiabetes detailliert untersucht. Die Probanden stammen aus der Tübinger Familienstudie und der Studie des Tübinger Lebensstilprogramms, die in den vergangenen 25 Jahren wiederholt intensiv klinisch, laborchemisch, kernspintomografisch und genetisch untersucht wurden. Anhand wichtiger Kerngrößen des Stoffwechsels konnten die Forschenden sechs Subtypen des Prädiabetes identifizieren. „Wie beim manifesten Diabetes gibt es auch im Vorstadium des Diabetes unterschiedliche Krankheitstypen, die sich durch Blutzuckerhöhe, Insulinwirkung und -ausschüttung, Körperfettverteilung, Leberfett sowie genetisches Risiko unterscheiden“, fasst Professor Dr. Robert Wagner das Ergebnis der Untersuchung zusammen.

Drei dieser Gruppen (Cluster 1, 2 und 4) zeichnen sich durch ein niedriges Diabetesrisiko aus. Die drei übrigen Subtypen (Cluster 3, 5 und 6) gehen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes und/oder Folgeerkrankungen einher. Menschen, die dem Subtyp 3 angehören, bilden beispielsweise zu wenig Insulin und haben ein hohes Risiko, an Diabetes zu erkranken. Das Cluster 4 bilden übergewichtige Personen, deren Stoffwechsel jedoch noch relativ gesund ist. Und Menschen aus dem Cluster 5 weisen eine ausgeprägte Fettleber und ein sehr großes Diabetesrisiko auf, weil ihr Körper resistent gegen die blutzuckersenkende Wirkung von Insulin ist. Beim Subtyp 6 treten bereits vor einer Diabetesdiagnose Schädigungen der Niere auf. Hier ist auch die Sterblichkeit besonders hoch.

Gezielter vorbeugen

Für die Versorgung von Betroffenen bedeuten diese Erkenntnisse einen wichtigen Durchbruch: Dank der differenzierten Einteilung rückt eine an die Krankheitsentstehung angepasste individuelle Therapie von Diabetes und seinen Folgeerkrankungen in greifbare Nähe. Dies wollen die Forschenden mit weiteren Untersuchungen untermauern: „In den nächsten Schritten werden wir zuerst in prospektiven Studien prüfen, wie weit die neuen Erkenntnisse für die Einteilung von einzelnen Personen in Risikogruppen anwendbar sind“, berichtet Fritsche. Sollte dies der Fall sein, könnten auch Menschen mit einem hohen Risikoprofil künftig früh erkannt und entsprechend behandelt werden.

Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD)

Das DZD ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrums München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.

Weitere Informationen: www.dzd-ev.de

Originalpublikation:
Wagner, R. et al.: Pathophysiology-based subphenotyping of individuals at elevated risk for type 2 diabetes. Nature Medicine (2021). doi: 10.1038/s41591-020-1116-9

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Robert Wagner
Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen
Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Otfried-Müller-Straße 10
72076 Tübingen
07071 2982-910
robert.wagner@uni-tuebingen.de

Pressekontakt:
Birgit Niesing
Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD)
Geschäftsstelle am Helmholtz Zentrum München
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
niesing@dzd-ev.de