17.05.2022

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Bakterien bergen natürliches Potenzial für neue Antibiotika

Immer mehr Bakterien sind resistent gegen Antibiotika, zugleich werden immer weniger neue Antibiotika entwickelt. Dem könnten natürliche Stoffwechselprodukte der Bakterien selbst abhelfen, zeigen Analysen des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF).

Grafische Darstellungen der DNA-Doppelhelix

Ein Vergleich der Erbinformationen von Bakterien könnte der Forschung wichtige Aufschlüsse zur Entwicklung neuer Antibiotika liefern.

Leon Kokkoliadis/CFMI, Universität Tübingen

Eine der größten Herausforderungen bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten ist es, dass es immer mehr Erreger resistent gegen die gängigen Antibiotika werden. Zugleich wird es immer schwieriger, neue Medikamente zu entwickeln. Dabei aber könnte die Natur helfen, denn Stoffwechselprodukte der Bakterien selbst bilden die Grundlage vieler Antibiotika.

Das genetische Potenzial dieser bakteriellen Stoffwechselprodukte – in der Fachsprache mikrobielle Naturstoffe genannt – ist bislang nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft. Das hat ein internationales Team von Forschenden unter Federführung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) mit einer umfangreichen bioinformatischen Analyse von rund 170.000 bakteriellen Genomen belegt. Ein Genom ist die Gesamtheit der bakteriellen Erbinformation.

Dem Team um Prof. Nadine Ziemert vom Exzellenzcluster „Controlling Microbes to Fight Infections“ (CMFI) an der Universität Tübingen gelang es zudem, mehrere Bakteriengattungen zu identifizieren, die als Produzenten unterschiedlicher Naturstoffe dazu beitragen könnten, den Engpass in der Arzneimittelentwicklung zu überwinden.

Antibiotika-Resistenzen & neue Wirkstoffe

Immer häufiger sind Bakterien resistent gegen gängige Antibiotika: Je öfter sie mit einem bestimmten Antibiotikum in Kontakt kommen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Medikament seine Wirkung verliert. Obwohl die Medizin neue Mittel dringend benötigt, werden kaum noch Wirkstoff-Kandidaten entwickelt, denn die Suche nach neuen Substanzen ist mühsam und für viele Pharmafirmen wirtschaftlich unattraktiv. Deshalb wollen die Forschenden am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) eine Brücke schlagen zwischen Grundlagenforschung und Entwicklungen der Industrie: Sie beteiligen sich an der Suche nach neuen Wirkstoffen und entwickeln neue Methoden zur effektiven Behandlung multiresistenter Keime.

Unerwartete, aber vielversprechende chemische Vielfalt

Naturstoffe bakteriellen Ursprungs werden seit Jahrzehnten als Quelle für Medikamente wie zum Beispiel Antibiotika untersucht. In den vergangenen Jahren hat die Entdeckung neuer Arzneimittel jedoch stagniert, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass das Ausmaß der chemischen Vielfalt in der Natur unbekannt ist und die Annahme besteht, dass ein großer Teil bereits entdeckt wurde.

Um das wahre Potenzial bakterieller Naturstoffe zu verstehen, untersuchte ein internationales Forscherteam aus Deutschland und den Niederlanden einen umfangreichen Satz genomischer Daten der unter anderem auf etwa 170.000 bakteriellen Genomen basierte. „Unsere Studie zeigte, dass bisher nur drei Prozent oder sogar weniger des genetischen Potenzials für die Produktion von Naturstoffen entdeckt wurden", sagt Ziemert. Mithilfe einer speziellen Methode identifizierte das Team sogenannte Biosynthese-Gen-Cluster (BGCs) – miteinander lokalisierte Gene im bakteriellen Erbgut, die gemeinsam den biochemischen Aufbau von Naturstoffen steuern.

Anhand der ausgewerteten Daten konnten die Forschenden verschiedene Gattungen von Bakterien bestimmen, die ein hohes Biosynthesepotenzial aufweisen, darunter mehrere bislang wenig erforschte Gruppen. Die Daten enthüllten zudem eine unentdeckte biosynthetische Vielfalt in ansonsten gut erforschten Bakteriengattungen, von denen etliche zu den Hauptproduzenten von Antibiotika gehören. Diese für die zukünftige Forschung vielversprechenden Bakteriengattungen könnten dazu beitragen, die Entwicklung neuer wirksamer Antibiotika und anderer Medikamente voranzutreiben.

Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickeln bundesweit circa 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ärztinnen und Ärzte aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Ziel ist die sogenannte Translation: die schnelle, effektive Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis. Damit bereitet das DZIF den Weg für die Entwicklung neuer Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gegen Infektionen. Das DZIF ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zur Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten ins Leben gerufen wurden.
Weitere Informationen: www.dzif.de

Kontakt:
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Dr. Nicola Wittekindt
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