Januar 2022

| Newsletter 105

Diabetes: Neue Entdeckung könnte die Behandlung verändern

Forschende u. a. vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) haben einen bisher unbekannten Rezeptor entdeckt, der neue Möglichkeiten zur medikamentösen Behandlung von Diabetes schaffen könnte: den Insulin-inhibitorischen Rezeptor „Inceptor“.

Logo Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD)

Diabetes mellitus ist eine komplexe Erkrankung, die durch den Verlust oder die Fehlfunktion der insulinproduzierenden Betazellen gekennzeichnet ist. Die Zellen befinden sich in den Langerhansschen Inseln, einem speziellen „Mikroorgan“ der Bauchspeicheldrüse, und sind für die Kontrolle des Blutzuckerspiegels verantwortlich. Die Folgen des Diabetes – chronisch hoher Blutzucker, systemische Stoffwechselstörungen und auf lange Sicht Multiorganschäden – sind eine enorme medizinische und soziale Belastung. Betroffene haben eine nachgewiesen verringerte Lebensqualität und Lebenserwartung.

Isolierung des Hormons Insulin

2021 jährt sich zum hundertsten Mal ein zentrales Ereignis der Medizingeschichte: 1921 gelang Frederick Banting und Charles Best die Isolierung des Hormons Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Hunden. Damit legten sie den Grundstein für die erste wirksame Behandlung des Diabetes mellitus.

Bislang gibt es keine Möglichkeit, das Fortschreiten der Krankheit durch eine medikamentöse Behandlung aufzuhalten oder umzukehren. Frühere Studien haben gezeigt, dass eine intensive Insulintherapie und eine verbesserte Einstellung des Blutzuckerspiegels dem Diabetes entgegenwirken können. Allerdings hat eine solche Therapie auch Nebenwirkungen wie u. a. eine ungewollte Gewichtszunahme zur Folge, was wiederum zu einer höheren Insulinresistenz führen kann.

Inceptor – eine vielversprechende molekulare Zielstruktur

Modelldarstellung von Zellen der  Bauchspeicheldrüse

Modell des Insulin-inhibitorischen Rezeptors „Inceptor“ (schwarz). Inceptor desensibilisiert
den Insulinrezeptor (farbig) auf der Oberfläche einer Betazelle in der Bauchspeicheldrüse.
Insulin ist blau dargestellt.

Helmholtz Zentrum München

„Bildet sich in den Betazellen eine Insulinresistenz aus, kommt es zum Funktionsverlust und führt zum Diabetes. Therapien, die diese Zellen wieder empfindlicher machen für Insulin, könnten Patientinnen und Patienten vor dem Verlust der Betazellen oder ihrer Funktion schützen“, sagt Diabetesforscher Professor Dr. Heiko Lickert, Direktor des Instituts für Diabetes- und Regenerationsforschung am Helmholtz Zentrum München, Lehrstuhlinhaber für Betazellbiologie an der Technischen Universität München und Mitglied im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung. Mit der Entdeckung des Insulin-inhibitorischen Rezeptors Inceptor hat seine Forschungsgruppe eine vielversprechende molekulare Zielstruktur für Therapien zum Schutz und zur Regeneration von Betazellen gefunden, die nicht die unerwünschten Nebenwirkungen einer intensiven Insulintherapie mit sich bringt.

In Experimenten im Tiermodell zeigten die Forschenden, dass Inceptor die insulinproduzierenden Betazellen vor der Aktivierung des Insulinsignalweges abschirmt. Besonders auffallend dabei war, dass Inceptor bei Diabetes hochreguliert ist – also in einer höheren Anzahl vorkommt. Dies lässt darauf schließen, dass die Blockierung des Insulinsignals durch Inceptor eine Rolle für die Insulinresistenz spielt.

Was aber passiert, wenn man die Funktion von Inceptor genetisch oder medikamentös unterbindet? Die Gruppe ging dieser Frage nach und schaltete Inceptor in Betazellen aus und blockierte seine Funktion mithilfe monoklonaler Antikörper. Dann stieg sowohl die Insulinsignalstärke als auch die Masse funktionaler Betazellen an. „Inceptor ist daher ein vielversprechender Angriffspunkt, um die eigentliche Ursache von Diabetes, den Verlust und die Fehlfunktion der Betazellen, zu behandeln“, sagt Lickert. „Vor hundert Jahren betonte Nobelpreisträger Frederick Banting in seiner Rede zur Entdeckung des lebensrettenden Medikaments Insulin, dass ‚Insulin den Diabetes nicht heilen, sondern nur die Symptome behandeln kann‘. Wir wollen nun die Entdeckung von Inceptor dazu nutzen, neue Medikamente zur Regeneration der Betazellen zu entwickeln. Damit könnten wir Betroffenen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes helfen und letztendlich eine Diabetes-Remission herbeiführen.“

DZD – Forschen für eine Zukunft ohne Diabetes

Im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) arbeiten Expertinnen und Experten aus Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinischer Anwendung deutschlandweit zusammen. Durch diesen translationalen Forschungsansatz können Beobachtungen aus epidemiologischen Studien im Labor überprüft und die Ergebnisse aus dem Labor schneller in die klinische Anwendung überführt werden. Ziel des DZD ist es, die Erkenntnisse der Diabetesforschung möglichst schnell zu den Erkrankten zu bringen, um Diabetes vorzubeugen und zu behandeln sowie Folgeerkrankungen zu vermeiden. Das DZD wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Bundesländern der Standorte gefördert.

Originalpublikation:
Ansarullah et al., 2021: Inceptor counteracts insulin signalling in β-cells to control glycaemia. Nature, DOI: 10.1038/s41586-021-03225-8

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Heiko Lickert
Direktor des Instituts für Diabetes- und Regenerationsforschung am Helmholtz Zentrum München
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
089 3187-3867

Pressekontakt:
Birgit Niesing
Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD)
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
niesing@dzd-ev.de