Adipositas: Wenn überzählige Pfunde krank machen

Immer mehr Menschen sind übergewichtig oder haben sogar starkes Übergewicht (Adipositas). Um wichtige Erkenntnisse über die Entstehung von Adipositas zu gewinnen und eine bessere Behandlung zu ermöglichen, fördert das BMBF vielfältige Forschungsarbeiten.

Eine Frau hält ein Kind, das im Wald auf einer Bank balanciert, an der Hand

Adipositas ist eine chronische Erkrankung und Folge eines unausgewogenen Energiehaushaltes im Körper. Intensive Forschung hilft, die Krankheit besser zu verstehen und zu behandeln. 

World Obesity

Die Gründe dafür sind vielfältig, Fakt aber ist: Zu viele Deutsche wiegen zu viel. In Zahlen bedeutet das: Fast zwei von drei Erwachsenen (60 Prozent) sind übergewichtig, jeder vierte Erwachsene hat sogar starkes Übergewicht (24 Prozent). Auch bei jungen Menschen sind die Zahlen hoch – 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen wiegen zu viel, sechs Prozent sind adipös. Viele Medizinerinnen und Mediziner sprechen daher auch von der „Volkskrankheit“ Adipositas: Sie ist in weiten Teilen der Bevölkerung und allen Altersklassen zu beobachten.

Um dieser Entwicklung zu begegnen, braucht es ein grundlegendes Verständnis, wie Adipositas entsteht – und wie schon in frühen Jahren entscheidende Weichen für die Gesundheit im weiteren Lebenslauf gestellt werden. Diesem Umstand trägt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit seiner Forschungsförderung Rechnung und unterstützt die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in vielfältigen Projekten.  

Adipositas ist eine chronische Krankheit und Folge eines unausgewogenen Energiehaushaltes. Das heißt, adipöse Menschen nehmen mehr Energie (= Kalorien) zu sich, als der Körper verbraucht, und diese überschüssige Energie wird in Form von Fett im Körper gespeichert. Adipositas gilt als Auslöser und Risikofaktor für mehr als 60 Begleit- und Folgeerkrankungen, u. a. für Bluthochdruck, eine Schädigung der Herzkranzgefäße, Typ-2-Diabetes sowie psychische Erkrankungen. Auch die Immunantwort gegen Krankheitserreger wird geschwächt.
Seit den 1970er Jahren hat sich das Auftreten von Adipositas weltweit und in Deutschland fast verdreifacht. Medizinerinnen und Mediziner sprechen ab einem Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 30 von krankhaftem Übergewicht. Der BMI errechnet sich aus der Größe im Verhältnis zum Gewicht: BMI = Körpergewicht in kg ÷ (Körpergröße in m)2.

Komplexe Ursachen, vielfältige Krankheitsrisiken

Adipositas entsteht nicht über Nacht und hat meist auch nicht nur eine einzige Ursache; zu einer krankhaften Gewichtszunahme können ganz unterschiedliche Faktoren beitragen. Darunter fallen zum Beispiel auch genetische Veranlagung, hormonelle Störungen oder eine Erkrankung und die damit nötige Einnahme von Medikamenten – Faktoren also, die sich nicht willentlich beeinflussen lassen. Häufig sind nicht nur die Gene alleine mitentscheidend für die Entwicklung von Übergewicht, sondern auch die Art und Weise, wie sie durch Umwelteinflüsse reguliert werden, zum Beispiel durch Ernährung oder bereits vorhandenes Übergewicht. Diese Prozesse untersucht der Forschungszweig der Epigenetik genauer – Arbeiten, die das BMBF über die europäische Programminitiative „Eine gesunde Ernährung für ein gesundes Leben“ (JPI HDHL) und dort im Rahmen der transnationalen Fördermaßnahme JPI HDHL EPIGENETIK fördert.
JPI HDHL EPIGENETIK

Das Körpergewicht wird zudem durch verschiedene biologische Prozesse reguliert, die durch die Zusammensetzung der Nahrung bzw. mit der Aufnahme spezifischer Nahrungsbestandteile beeinflusst werden können. Vertiefte Erkenntnisse dazu soll die vom BMBF unterstützte transnationale Fördermaßnahme JPI HDHL Metadis erbringen.  
JPI HDHL Metadis

Die Gefahren eines starken Übergewichts für die Gesundheit sind bekannt. So gilt Adipositas als Auslöser für viele chronische Erkrankungen, zum Beispiel Diabetes, Arthrose oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen einschließlich Herzinfarkt und Schlaganfall sowie Fettleber, Gallensteine und sogar bestimmte Krebsarten. Der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) zufolge haben Menschen mit Adipositas eine um etwa fünf Jahre geringere Lebenserwartung als Menschen mit Normalgewicht.

Für den steigenden Anteil adipöser Menschen machen Expertinnen und Experten auch die im Vergleich zu früher veränderten Lebensbedingungen verantwortlich: Kalorienreiche Lebensmittel und Getränke sind im Übermaß und jederzeit verfügbar, der berufliche Alltag von immer mehr Menschen findet vor allem im Sitzen statt.

Eine App zur Prävention einer ungesunden Gewichtszunahme in der Schwangerschaft

Studien zeigen, dass insbesondere die Schwangerschaft und die Zeit nach der Geburt eine kritische Phase für ungesunde Gewichtszunahme sowohl bei Müttern als auch bei Vätern darstellt, und sich auf die Gewichtsentwicklung der Babys im weiteren Lebensverlauf auswirken kann. Im europäischen Verbundprojekt „I-PREGNO“ wird eine App-basierte Intervention zur Prävention einer ungesunden Gewichtszunahme entwickelt, die sich insbesondere an sozial belastete Familien richtet und deren Wirksamkeit untersucht. Die Maßnahme beginnt während der Schwangerschaft, umfasst die Phase nach der Geburt und kombiniert ein Smartphone-basiertes psychologisches Training mit einer Beratung zu den Themen Ernährung und Bewegung. Um eine breite Umsetzung sicherzustellen, sind wichtige Stakeholder wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und das Nationale Zentrum Frühe Hilfen als Kooperationspartner in das Projekt eingebunden.

I-PREGNO (JPI HDHL)

Analyse familienbasierter Lebensstilfaktoren zur Prävention kindlicher Adipositas

In Zusammenarbeit mit Verbrauchern, Interessengruppen sowie Akteuren aus dem Gesundheitswesen und der Politik sollen im transnationalen Verbundprojekt EndObesity der JPI HDHL innovative Strategien zur Verhinderung von Übergewicht und Adipositas entwickelt, umgesetzt und bewertet werden. Hierbei werden insbesondere die ersten 1.000 Tage des Lebens in Beobachtungsstudien in den Blick genommen. So sollen ungünstige Verhaltensmuster in Familien identifiziert und Vorhersagemodelle entwickelt werden, mit denen sich Familien mit besonderem Risiko für kindliches Übergewicht frühzeitig erkennen lassen. An diese Familien richten sich die zu entwickelnden Präventionsstrategien im besonderen Maße.

EndObesity(JPI HDHL)

Untersuchung von Risikofaktoren bei der Entwicklung von Adipositas

Bisherige Programme zur Prävention von Übergewicht und Adipositas haben oft kaum oder nur kurzfristige Effekte. Insbesondere sozial benachteiligte Gruppen, die am stärksten von Adipositas betroffen sind, werden meist nicht erreicht. Im europäischen Verbundprojekt GrowH! sollen veränderbare Risikofaktoren untersucht werden, die im Verlauf der frühen Kindheit bis ins Jugendalter eine Rolle bei der Entwicklung von Adipositas spielen. Darauf aufbauend werden zwei bestehende Programme für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche angepasst und in Bremen und Zaragoza (Spanien) auf ihre Machbarkeit hin überprüft. Der aus den Ergebnissen abgeleitete Präventionsansatz soll in medizinische Leitlinien sowie einen Leitfaden für politische Entscheidungsträger und Akteure aus der Praxis einfließen.

GrowH!(JPI HDHL)

 Aufdeckung von Risikofaktoren beim Nachwuchs adipöser Mütter

Das Projekt „Frühindikatoren für Adipositas“ des Kompetenzclusters enable („Förderung einer gesunden Ernährung in allen Lebensphasen“) hat zum Ziel, Risikofaktoren beim Nachwuchs adipöser Mütter bei der Geburt und im Kleinkindalter zu identifizieren, die mit der Entwicklung von späterem Übergewicht zusammenhängen und/oder Grund für spätere stoffwechselbedingte Störungen sein könnten. Hierzu werden Biomaterialien und Daten der Mutter-Kind-Kohorte PEACHES genutzt, die ca. 1.700 Mutter-Kind-Paare umfasst. Die Forschenden erwarten, dass sich mithilfe der Ergebnisse die Früherkennung von Übergewicht oder Stoffwechselstörungen bei Kindern im Schulalter verbessern lässt. 

Kompetenzcluster enable

 Wer schon im Kindes- und Jugendalter Übergewicht hat, dem fällt es im Erwachsenenalter oft besonders schwer, Gewicht zu verlieren. Eine wichtige Ursache für Übergewicht und Adipositas ist der häufige Verzehr von fetthaltigen Fertiggerichten und zuckerreichen Getränken bei insgesamt zu wenig Bewegung. Auch kann bei psychischen Belastungen oder Frustsituationen übermäßiges Essen zum „Trostspender“ werden und damit einen Teufelskreis auslösen.

Langfristige Lebensumstellung hilft besser als kurzfristige Diäten

„Abnehmen“ und „Gewicht reduzieren“ klingt nach einem vermeintlich einfachen Rezept, lässt sich oft aber nur schwer umsetzen. Krankhaftes Übergewicht erfordert eine langfristige Umstellung von Lebensstil und Ernährung sowie in schweren Fällen auch medizinisch-therapeutische Unterstützung beispielsweise in Form eines operativen Eingriffs. Ganz entscheidend ist zudem die Motivation der Betroffenen – damit eine dauerhafte Gewichtabnahme gelingt, braucht es einen Plan, der zu den eigenen Lebensumständen passt und sich im Alltag durchhalten lässt. Eine Ernährungsberatung kann hier unterstützen.

Die Behandlung von starkem Übergewicht richtet sich nach den Begleiterkrankungen und dem Schweregrad der Adipositas. Diäten wirken meist nur kurzfristig, hilfreicher ist eine nachhaltige Ernährungsumstellung hin zu einer energieangepassten, ausgewogenen Kost sowie regelmäßige Bewegung – auch zum Beispiel im Alltag durch Treppensteigen statt Aufzug oder Fahrrad statt Auto.

Körperliche Aktivität trägt dazu bei, Gewicht dauerhaft zu reduzieren oder zu halten, Stress besser zu bewältigen und die eigene Motivation zu steigern. Auch Verhaltenstherapien oder Ernährungsberatung können helfen: Sie vermitteln Tipps und Techniken, wie sich Essgewohnheiten verändern lassen und wie sich mehr Bewegung in den Alltag einbauen lässt. Wichtiger Erfolgsfaktor bei der Behandlung von Adipositas: die Motivation der Betroffenen.

Zeigt all dies nicht den gewünschten Erfolg und liegen massives Übergewicht und schwerwiegende Begleiterkrankungen vor, kann der Einsatz von Medikamenten oder ein chirurgischer Eingriff wie eine Magenverkleinerung oder ein Magen-Bypass ratsam sein.  

Adipositas erfordert ein lebenslanges Krankheitsmanagement

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) im Jahr 2020 wurde Adipositas offiziell als Krankheit anerkannt. Wie bei anderen chronischen Erkrankungen erleiden Betroffene häufig einen Rückfall, verschlechtert sich das Krankheitsbild ohne Behandlung in der Regel im Zeitverlauf und verlangt Adipositas ein lebenslanges Krankheitsmanagement. In den vergangenen Jahren hat die Wissenschaft bereits wichtige neue Erkenntnisse über die Entstehung von Adipositas gewonnen; die aufgezeigten Forschungsansätze und ihre Ergebnisse können die Behandlung der Betroffenen weiter verbessern.