Computational Neuroscience

Intelligente Prothesen und Computersimulationen, die Funktionen des Gehirns aufklären und die dabei helfen, neue Therapien zu entwickeln – diese Beispiele zeigen, welchen Innovationen Computational Neuroscience den Weg bahnen kann.

Computer mit komplexen Kabelverbindungen

Mit Computersimulationen und Experimenten entschlüsseln Forschende die Arbeitsweise des Gehirns. Ihre Ergebnisse inspirieren auch viele Anwendungen der Künstlichen Intelligenz.

Jörg Müller, Hamburg

Die funktionelle Analyse des menschlichen Gehirns ist eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen. Sie kann nur mit interdisziplinären und dynamischen Forschungsansätzen erreicht werden. Dieser Herausforderung widmet sich das Forschungsfeld der Computational Neuroscience. Es verbindet experimentelle und theoretische Ansätze: Forschende aus den Disziplinen Neurowissenschaften, Medizin und Psychologie sowie Mathematik, Informatik, Physik und Ingenieurwissenschaften arbeiten hier eng zusammen.

Wie Computer helfen, das Denken zu verstehen

Mit dem Ansatz der Computational Neuroscience wird erforscht, wie das Nervensystem Informationen verarbeitet. Das reicht von den Sinneseindrücken beim Sehen und Hören bis hin zum Lernen, Erinnern und schließlich dem Treffen von Entscheidungen.

Dafür entwickeln Forschende auf der Basis experimentell gewonnener Daten mathematische Modelle, mit denen sie neuronale Funktionen am Computer simulieren. Die Vorhersagen der Modelle zum neuronalen Verhalten überprüfen sie wiederum experimentell. Dieses Wechselspiel optimiert die virtuellen Modelle und bringt die Forschenden dem Verständnis der Hirnfunktionen so Schritt für Schritt näher.

Von den Forschungserfolgen auf diesem Gebiet profitieren innovative Technologien. Mithilfe des Wissens um die Hirnfunktionen können intelligente technische Hilfsmittel entwickelt werden, beispielsweise Fahrassistenz-Systeme, selbstlernende Computer, Roboter oder intelligente Prothesen.

Außerdem können Computermodelle dabei helfen, die Fehlfunktionen des Gehirns und die Ursachen von Krankheiten zu entschlüsseln. Mithilfe von Computersimulationen wollen Forschende künftig auch Therapieansätze optimieren und virtuell – sozusagen in silicio – erproben.

Nationales Bernstein Netzwerk Computational Neuroscience

Namensgeber des Bernstein Netzwerks ist der deutsche Physiologe Julius Bernstein (1839-1917). Er entwickelte eine erste biophysikalische Erklärung dafür, wie Nervenzellen mit Hilfe elektrischer Ströme Informationen weiterleiten und verarbeiten.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) etablierte durch eine Reihe aufeinander abgestimmter und einander ergänzender Förderinitiativen das Nationale Bernstein Netzwerk Computational Neuroscience (NNCN). Das Gesamtfördervolumen beträgt im Zeitraum von 2004 bis 2020 rund 190 Millionen Euro. Das BMBF verfolgt damit die folgenden Ziele:

  • Struktur-Bildung
    Das innovative Forschungsfeld Computational Neuroscience wurde erfolgreich in Deutschland etabliert. Die Bernstein Zentren in Berlin, Freiburg, Göttingen, Heidelberg-Mannheim, München und Tübingen bilden dabei den Kern des Netzwerks. Die aufgebauten Strukturen sollen auch nach Auslaufen der BMBF-Förderung erhalten bleiben. Zum Beispiel wurden an deutschen Universitäten im Rahmen des Bernstein Netzwerks 22 neue Bernstein Professuren im Themenfeld der Computational Neuroscience geschaffen, die dauerhaft von den Bundesländern fortgeführt werden.
  • Community-Bildung
    Das Bernstein Netzwerk verzahnt Forschende aus unterschiedlichen Fachrichtungen, klinische Einrichtungen und Industriepartner miteinander und fördert einen intensiven Wissensaustausch. So können Forschungserfolge schneller erzielt und in die klinische oder technologische Anwendung gebracht werden.
  • Nachwuchsförderung
    Das Netzwerk bildet den wissenschaftlichen Nachwuchs aus und fördert Talente. So wurde zum Beispiel der Bernstein Preis in den Jahren 2006- 2015 zehnmal vergeben und war einer der höchstdotierten Förderpreise des BMBF  für exzellente Nachwuchsforscherinnen und -forscher. Mit dem Preisgeld konnten sie eine eigene Arbeitsgruppe an einer deutschen Forschungseinrichtung etablieren und ihr Forschungsprofil ausbauen. Acht Bernstein Preisträger haben inzwischen eine Professur erhalten.
  • Internationalisierung
    Internationale Kooperationen des Netzwerks vertiefen die Zusammenarbeit der Forschenden in Deutschland mit den weltweit besten Computational-Neuroscience-Expertinnen und -Experten in den USA, Frankreich, Israel und Japan.

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