Forschung gestalten

Versorgung

Jeder Mensch sollte im Krankheitsfall bestmöglich und sicher behandelt werden. Aber welche Leistungen helfen im Alltag wirklich? Und sind diese auch wirtschaftlich vertretbar? Dies herauszufinden ist Aufgabe der Versorgungsforschung.

Ein Pfleger versorgt eine Patientin im Krankenhaus.

Die Versorgungsforschung orientiert sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten.

DLR PT/BMBF

Für die Versorgungsforschung ist es von großer Bedeutung, den Versorgungsalltag genau zu kennen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfassen beispielsweise, welche Leistungen wann in Kliniken und Praxen eingesetzt werden – und mit welchem Erfolg. Sie gehen aber auch der Frage nach, ob die Untersuchungsergebnisse aus der Klinik auch den Fachkräfte in Rehabilitations- oder Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stehen. Aufbauend auf diesem Wissen entwickeln sie – falls nötig – Verbesserungsmöglichkeiten. Diese können zum Beispiel in der Art und Abfolge von Behandlungsschritten oder in der Zusammenarbeit der Akteure des Gesundheitssystems liegen.

In Zukunft wird die Versorgungsforschung noch an Bedeutung gewinnen. Denn der demografische Wandel und die gesellschaftlichen Veränderungen stellen auch das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen. Eine starke Versorgungsforschung ermöglicht es, unser Gesundheitssystem auf diese gesellschaftlichen Herausforderungen auszurichten und es so zukunftssicher zu gestalten.

Definition Versorgungsforschung

Versorgungsforschung ist die Wissenschaft, die die Patientenversorgung und ihre Rahmenbedingungen beschreibt, erklärt und unter Alltagsbedingungen bewertet.Die Versorgungsforschung entwickelt neue Versorgungskonzepte und erprobt sie auch.

Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse für den Versorgungsalltag

Alle Akteure im Gesundheitswesen – seien es das medizinische Personal, die Krankenkassen, die Krankenhäuser und Pflegeheime oder die ärztliche Selbstverwaltung –, aber auch die Entscheidungsträger in der Politik benötigen als Grundlage für ihre Entscheidungen zuverlässige Studien und Analysen. Wichtige Erkenntnisse und die erforderliche wissenschaftliche Evidenz im Versorgungsalltag liefert die Versorgungsforschung.

In unserem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem sind die finanziellen Ressourcen allerdings begrenzt. Daher ist es notwendig, genau zu prüfen, ob die eingesetzten Maßnahmen auch zu dem gewünschten Erfolg führen. Aus diesem Grund haben Kosten-Nutzen-Erwägungen in der Medizin in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Eine entsprechende Bewertung neuer - aber auch bereits etablierter Verfahren - ist unerlässlich, damit durch das Gesundheitssystem nur sinnvolle und wirksame Maßnahmen erstattet werden. Dabei muss sich der Nutzen von Behandlungen nicht nur in klinischen Studien, sondern insbesondere im Versorgungsalltag unter Berücksichtigung der dort herrschenden Rahmenbedingungen belegen lassen.

Die Gesundheitssysteme sind von Land zu Land sehr unterschiedlich. Denn sie hängen stark von den nationalen Gegebenheiten ab. Daher lassen sich internationale Forschungsergebnisse nur begrenzt auf unser System übertragen - deshalb ist auch in Deutschland eine leistungsfähige Versorgungsforschung erforderlich.

Zusammenarbeit ist wichtig - auch über Fachgrenzen hinweg

Wenn Erkrankte versorgt werden, arbeiten Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen, Pflegekräfte, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten sowie viele weitere Berufsgruppen zusammen. Ähnliches muss auch bei der Versorgungsforschung gelten: Ohne die Zusammenarbeit über die einzelnen Fachgrenzen hinweg geht es nicht. Damit Ergebnisse der Forschung bedarfsorientiert bei den verschiedenen Entscheidungsträgern und dann letztlich auch bei den Patientinnen und Patienten ankommen, muss Zusammenarbeit möglich gemacht und der Ergebnistransfer beschleunigt werden.

Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt

Versorgungsforschung kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich an den Wünschen und  Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientiert. Die Patientenorientierung sollte aber auch Möglichkeiten bieten, die Selbstbestimmung der Betroffenen zu fördern. Damit dies gelingen kann, muss die gesundheitliche Versorgung so gestaltet sein, dass der Bedarf der Patientinnen und Patienten sowohl im individuellen Fall (z.B. im Arzt-Patienten-Gespräch) als auch auf gesellschaftlicher Ebene (z.B. durch Patientenvertretende) berücksichtigt wird. Die Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen müssen daher bereits bei Forschungsprojekten berücksichtigt und Patientenvertretende schon frühzeitig eingebunden werden.

Begleitkreis Versorgungsforschung

Das BMBF hat zur strategischen Beratung im Bereich Versorgungsforschung einen Begleitkreis ins Leben gerufen. Der Begleitkreis bewertet die Aussichten auf das Erreichen der im Aktionsplan Versorgungsforschung genannten Ziele und berät das BMBF zur strategischen Weiterentwicklung der Forschungspolitik. Darüber hinaus analysiert und bewertet der Begleitkreis übergreifende Themen. Dazu gehören Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis, Fragen von Qualität in Wissenschaft und Forschung und die Einordnung in den internationalen Forschungsraum.

Mitglieder des Begleitkreises Versorgungsforschung

Prof. Dr. Vittoria Braun

Prof. Dr. Steffen Fleßa
Universität Greifswald
Lehrstuhl für ABWL und Gesundheitsmanagement

Prof. Dr. Ferdinand Gerlach
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Zentrum der Gesundheitswissenschaften

Heidi Hauer
BSK-BV Kontaktstelle Mainz

Prof. Dr. Eva Hummers-Pradier
Universitätsklinikum Göttingen
Institut für Allgemeinmedizin

Prof. Dr. Gabriele Meyer
Universität Halle (Saale), Medizinische Fakultät
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft

Prof. Dr. Edmund Neugebauer
Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
& Seniorprofessur Versorgungsforschung Universität Witten/Herdecke
Campus Neuruppin

Prof. Dr. Leonie Sundmacher
Ludwig-Maximilians-Universität München
Fachbereich Health Services Management

Bernd Schulte
senior expert: network and communication
ehem. Geschäftsführer des Städt. Krankenhauses Maria-Hilf Brilon gGmbH

Aktionsplan Versorgungsforschung

Zur Stärkung der Versorgungsforschungslandschaft in Deutschland hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein Maßnahmenpaket zur strategischen Forschungsförderung in diesem Bereich aufgelegt: den „Aktionsplan Versorgungsforschung“. Finanziert wird er durch das BMBF im Zeitraum 2015 bis 2018 mit insgesamt rund 50 Millionen Euro.

Die Handlungsfelder dieses Aktionsplans umfassen neben strukturfördernden Maßnahmen in der Versorgungs- und Altersforschung auch die Förderung gesundheitsökonomischer Zentren. Ferner ist der Aufbau von patientenbezogenen Registern für die Versorgungsforschung vorgesehen, die beispielsweise Informationen über die Verbreitung von Erkrankungen liefern. Es werden auch Einzelprojekte zu konkreten Fragestellungen gefördert: im Rahmen von „Studien in der Versorgungsforschung“ und in der „Transferorientierten Versorgungsforschung“ – letztere gemeinsam mit Versicherungsträgern.

Darüber hinaus startete das BMBF unter dem Dach des Aktionsplans Versorgungsforschung im Dezember 2015 eine Förderinitiative zur Palliativversorgung. Dafür werden insgesamt 12 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Strukturförderung im Bereich Altersforschung

Hochwertige Forschung in der Geriatrie und Gerontologie ist in Deutschland nur an relativ wenigen Hochschulen etabliert. Mithilfe der beiden folgenden Maßnahmen stärkt das BMBF die Forschungskapazitäten der Altersforschung.

Nachwuchsgruppen in der Geriatrie und Gerontologie
An Hochschulstandorten mit einer strukturell etablierten sowie in Forschung und Lehre selbstständigen Einrichtung in den Fachdisziplinen Geriatrie oder Gerontologie wird dem wissenschaftlichen Nachwuchs der Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe ermöglicht. Durch diese Fördermaßnahme erhalten Altersforscherinnen und -forscher die Chance, sich mittels eines spezifischen und eigenständigen Forschungsprojektes für eine wissenschaftliche Laufbahn zu qualifizieren.

Anreizsetzung für die Einrichtung von Lehrstühlen in der Geriatrie und Gerontologie
Das Förderangebot richtet sich an Hochschulen, die eine selbstständige Abteilung für Geriatrie bzw. Gerontologie neu einrichten oder eine bereits bestehende Stelle entsprechend umwidmen möchten. Das BMBF fördert für begrenzte Zeit zusätzliche Personalstellen zur Unterstützung der Forschung an einem neu eingerichteten Lehrstuhl. Dies setzt voraus, dass der Lehrstuhl auch nach Auslaufen der Förderung bestehen bleibt.

Aufbau patientenbezogener und modellhafter Register für die Versorgungsforschung

Mit dem Aktionsplan Versorgungsforschung setzt das BMBF Anreize für den Aufbau neuer patientenbezogener Register. Die Register sollen einheitlichen Standards folgen und in ihrer Struktur vorbildhaft für weitere Register in der Versorgungsforschung sein. Dafür wird es eine enge Zusammenarbeit der geförderten Register untereinander geben. Ein ebenfalls vom BMBF gefördertes Begleitprojekt wird den Aufbau der Register unterstützen und zur Entfaltung des modellhaften Charakters beitragen.

In den patientenbezogenen Registern werden für bestimmte Patientengruppen detaillierte Daten zu Diagnose, Therapie und Verlauf von Erkrankungen erhoben. Diese Register sind besonders gut dazu geeignet, das Versorgungsgeschehen unter Routinebedingungen zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Sie zeigen, welchen Einfluss verschiedene Versorgungsangebote in der Routineversorgung auf den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität der Betroffenen haben. Darüber hinaus geben sie Aufschlüsse über die Qualität der Behandlung in verschiedenen Einrichtungen und Versorgungssektoren.

Forschung für die Palliativmedizin

Die Palliativmedizin hilft Patientinnen und Patienten, die unheilbar und lebensbedrohlich erkrankt sind. Ziel ist es, die Symptome zu lindern und den Betroffenen in ihrer letzten Lebensphase die bestmögliche Lebensqualität zu bieten.

Viele Fragen um die Palliativversorgung sind heute noch nicht beantwortet. Daher ist Forschung in diesem Bereich notwendig. Die Forschung kann wichtige Beiträge zur Kontrolle der körperlichen Symptome wie Schmerz, Atemnot und Erschöpfung leisten. Die Wirksamkeit von Therapien und die Wirkung von Versorgungsmodellen für das Lebensende muss weiter verbessert werden. Gleichermaßen muss auch psychischen und sozialen Forschungsfragen Rechnung getragen werden.

Die Förderinitiative wird Fragen zur Palliativversorgung mit unmittelbarem Patientenbezug aufgreifen und zu deren Lösung beitragen. Patientinnen und Patienten sowie Pflegende und Angehörige sollen besonders eingebunden werden.

Strukturaufbau in der Versorgungsforschung

Damit die Versorgungsforschung in Deutschland gestärkt und vernetzt wird, unterstützt das BMBF den Strukturaufbau in der Versorgungsforschung. Dies geschieht über zwei Fördermodule:

Kooperationsnetze in der Versorgungsforschung
Das Fördermodul dient dazu, die vorhandenen Kapazitäten an den einzelnen Standorten effektiv und nachhaltig zu bündeln und die Vernetzung zu verbessern. Dabei steht die intensive multiprofessionelle und interdisziplinäre Betreuung von Patientinnen und Patienten im Fokus - auch über Sektorengrenzen hinweg.

Nachwuchsgruppen für die Versorgungsforschung
Exzellente Nachwuchskräfte können ihr eigenes Projekt konzipieren und dafür Förderung zum Aufbau ihrer Arbeitsgruppe beantragen. Engagierte Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden ermutigt, den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Versorgungsforschung zu unterstützen

Zentren der gesundheitsökonomischen Forschung

Valide Kosten-Nutzen-Analysen sind eine wichtige Voraussetzung dafür, das Gesundheitssystem effizient zu gestalten und zu steuern. Sie sind auch ein Entscheidungskriterium für die Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenkassen und damit für die Erstattung von Leistungen. Das BMBF fördert daher den Aufbau von Zentren der gesundheitsökonomischen Forschung. In diesen werden vorhandene gesundheitsökonomische Potenziale gebündelt und im Hinblick auf gemeinsame Forschungsinteressen fokussiert.

Das Forschungszentrum in Berlin (BerlinHECOR) untersucht die Leistung des deutschen Gesundheitssystems im Ganzen. Darüber hinaus erfassen die Forschungsgruppen, inwiefern die medizinischen Leistungen bedarfsgerecht erbracht werden. Hierfür kooperieren die Technische Universität Berlin und die Charité.

Das Zentrum in Duisburg/ Essen (CINCH) widmet sich speziell der Analyse von Wettbewerbsstrukturen im deutschen Gesundheitssystem – in der Krankenversicherung und auf den Gesundheitsmärkten. Denn wettbewerbliche Elemente könnten zu einem tragfähigen Zukunftskonzept beitragen. Das Zentrum ist an der Universität Duisburg/Essen angesiedelt.

Der Standort Hannover (CherH) hat die Optimierung von Versorgungsstrukturen zum Ziel. Die gesundheitsökonomischen Methoden sollen verbessert und auf ausgewählte Indikationen und Versorgungsprogramme angewendet werden. In Hannover arbeiten die Gottfried Wilhelm Leibniz Universität und die Medizinische Hochschule Hannover gemeinsam an der Umsetzung dieser Ziele.

Das Hamburger Zentrum (HCHE) verfolgt das Ziel, klare methodische Standards in der gesundheitsökonomischen Forschung zu entwickeln und anzuwenden. Die systematische Bewertung von innovativen Gesundheitsleistungen bildet einen weiteren Kernbereich des Zentrums. Ziel der Evaluationen ist es, überlegene Alternativen zu identifizieren, um eine Grundlage für Preisverhandlungen zu schaffen und damit eine bessere Patientenversorgung bei vertretbaren Kosten zu erreichen.

Transferorientierte Versorgungsforschung

Damit Forschungsergebnisse in der Praxis ankommen, müssen alle an der Versorgung Beteiligten von den Ergebnissen überzeugt sein: die Leistungserbringer (Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und viele mehr) und insbesondere auch die Kostenträger (zum Beispiel Krankenversicherung und Rentenversicherungsträger).
Mit der Fördermaßnahme „Transferorientierte Versorgungsforschung“ wird das BMBF gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung Bund die Versorgungsforschung in der Rehabilitation unterstützen. Bei den Forschungsprojekten soll sowohl die Übertragbarkeit der Forschungsergebnissen in die Praxis als auch die Patienten- bzw. Nutzerorientierung im Fokus stehen.

Bereits der Förderschwerpunkt „Versorgungsnahe Forschung – chronische Krankheiten und Patientenorientierung“ wurde gemeinschaftlich durch das BMBF und mehrere Kostenträger gefördert: Die gemeinsame Förderung von Versorgungsforschungsprojekten mit den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen auf Bundesebene, dem Verband der Privaten Krankenversicherungen und der Deutschen Rentenversicherung Bund hat über Jahre hinweg wichtige Impulse gesetzt.

Die Bundesregierung hat darüber hinaus den Innovationsfonds als gesundheitspolitisches Instrument geschaffen, um neue Versorgungsmodelle entwickeln zu können. Er soll dazu beitragen, dass möglichst viele Patientinnen und Patienten von einer erfolgreichen medizinischen Leistung profitieren.

Der Innovationsfonds wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss umgesetzt. Er ist im Koalitionsvertrag verankert und umfasst 1,2 Milliarden Euro für die Jahre 2016 bis 2019. 300 Millionen Euro davon stehen für die Förderung von Versorgungsforschungs-Projekten zur Verfügung, mit 900 Millionen Euro werden neue Versorgungsformen gefördert. Die Mittel für den Fonds werden von den gesetzlichen Krankenkassen und aus dem Gesundheitsfonds getragen. Das BMBF ist als Mitglied des Innovationsausschusses in die Förderentscheidung mit eingebunden.