Jeder Mensch sollte im Krankheitsfall bestmöglich und sicher behandelt werden. Aber welche Leistungen helfen im Alltag wirklich? Und sind diese auch wirtschaftlich vertretbar? Dies herauszufinden ist Aufgabe der Versorgungsforschung.
Die Versorgungsforschung nimmt den medizinischen Alltag, die Organisation, die Steuerung und die Finanzierungsfragen der Kranken- und Gesundheitsversorgung in den Blick. Für die Versorgungsforschung ist es von großer Bedeutung, den Versorgungsalltag genau zu kennen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfassen beispielsweise, welche Leistungen wann in Kliniken und Praxen eingesetzt werden – und mit welchem Erfolg. Sie gehen aber auch der Frage nach, ob die Untersuchungsergebnisse aus der Klinik auch den Fachkräfte in Rehabilitations- oder Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stehen. Aufbauend auf diesem Wissen entwickeln sie – falls nötig – Verbesserungsmöglichkeiten. Diese können zum Beispiel in der Art und Abfolge von Behandlungsschritten oder in der Zusammenarbeit der Akteure des Gesundheitssystems liegen.
Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse für den Versorgungsalltag
Die Versorgungsforschung liefert wichtige Erkenntnisse und die erforderliche wissenschaftliche Evidenz im Versorgungsalltag. Davon profitieren die Patientinnen und Patienten sowie alle Akteure im Gesundheitswesen – seien es das medizinische und pflegerische Personal, die Krankenkassen, die Krankenhäuser und Pflegeheime oder die ärztliche Selbstverwaltung – und Entscheidungsträger in der Politik.
In unserem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem sind die finanziellen Ressourcen allerdings begrenzt. Daher ist es notwendig, genau zu prüfen, ob die eingesetzten Maßnahmen auch zu dem gewünschten Erfolg führen. Dabei muss sich der Nutzen von Behandlungen nicht nur in klinischen Studien, sondern insbesondere im Versorgungsalltag unter Berücksichtigung der dort herrschenden Rahmenbedingungen und Möglichkeiten und Verhaltensweisen der Patientinnen und Patienten belegen lassen.
Versorgungsforschung stärken
In Zukunft wird die Versorgungsforschung noch an Bedeutung gewinnen. Denn der demografische Wandel und die gesellschaftlichen Veränderungen, wie beispielsweise die Digitalisierung, stellen auch das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen. Eine starke Versorgungsforschung ermöglicht es, unser Gesundheitssystem auf diese gesellschaftlichen Herausforderungen auszurichten und es so zukunftssicher zu gestalten.
Das BMBF wird die Versorgungsforschung darüber hinaus in Bereichen der Grundlagenforschung und Methodenentwicklung sowie durch gezielte Fördermaßnahmen zu forschungspolitisch besonders bedeutsamen Themen unterstützen. Beispielsweise sollen zu Fragen der Versorgung im ländlichen Raum und zu Fragen der Pflege in Zusammenarbeit mit Akteurinnen und Akteuren sowie Nutzerinnen und Nutzern des Gesundheitswesens vor Ort maßgeschneiderte Lösungen entwickelt werden, die von allen mitgestaltet und deshalb mitgetragen werden. Zudem werden Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler im Bereich der Versorgungsforschung besonders gefördert. Patientenbezogene Register sind besonders gut dazu geeignet, das Versorgungsgeschehen unter Routinebedingungen zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Sie gilt es, als wichtiges Instrument der Versorgungsforschung weiter zu berücksichtigen.
Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt
Versorgungsforschung kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientiert. Die Patientenorientierung sollte aber auch Möglichkeiten bieten, die Selbstbestimmung der Betroffenen zu fördern. Damit dies gelingen kann, muss die gesundheitliche Versorgung so gestaltet sein, dass der Bedarf der Patientinnen und Patienten sowohl im individuellen Fall (z. B. im Arzt-Patienten-Gespräch) als auch auf gesellschaftlicher Ebene (z. B. durch Patientenvertretende) berücksichtigt wird. Die Wünsche, Bedürfnisse und Bedarfe der Betroffenen müssen daher bereits bei Forschungsprojekten berücksichtigt und Patientenvertretende schon frühzeitig eingebunden werden.
Begleitkreis Versorgungsforschung
Das BMBF hat zur strategischen Beratung im Bereich Versorgungsforschung einen Begleitkreis ins Leben gerufen. Er bewertet das Erreichen der Förderziele des BMBF im Bereich Versorgungsforschung, insbesondere in Hinblick auf den Aktionsplan Versorgungsforschung, mit dem dieses Forschungsgebiet systematisch und gezielt ausgebaut wird. Darüber hinaus berät der Begleitkreis das BMBF zur strategischen Weiterentwicklung der Forschungspolitik und analysiert und bewertet übergreifende Themen. Dazu gehören Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis, Fragen von Qualität in Wissenschaft und Forschung und die Einordnung in den internationalen Forschungsraum.
Prof. Dr. Vittoria Braun
Prof. Dr. Steffen Fleßa
Universität Greifswald
Lehrstuhl für ABWL und Gesundheitsmanagement
Prof. Dr. Ferdinand Gerlach
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Zentrum der Gesundheitswissenschaften
Heidi Hauer
BSK-BV Kontaktstelle Mainz
Prof. Dr. Eva Hummers-Pradier
Universitätsklinikum Göttingen
Institut für Allgemeinmedizin
Prof. Dr. Gabriele Meyer
Universität Halle (Saale), Medizinische Fakultät
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft
Prof. Dr. Edmund Neugebauer
Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
& Seniorprofessur Versorgungsforschung Universität Witten/Herdecke
Campus Neuruppin
Prof. Dr. Leonie Sundmacher
Ludwig-Maximilians-Universität München
Fachbereich Health Services Management
Bernd Schulte
senior expert: network and communication
ehem. Geschäftsführer des Städt. Krankenhauses Maria-Hilf Brilon gGmbH
Strukturaufbau in der Versorgungsforschung
Damit die Versorgungsforschung in Deutschland gestärkt und vernetzt wird, unterstützt das BMBF den Strukturaufbau in der Versorgungsforschung. Dies geschieht über zwei Fördermodule:
Das Fördermodul dient dazu, die vorhandenen Kapazitäten an den einzelnen Standorten effektiv und nachhaltig zu bündeln und die Vernetzung zu verbessern. Dabei stehen Forschungsfragen zur multiprofessionellen und interdisziplinären Betreuung von Patientinnen und Patienten im Fokus - auch über Sektorengrenzen hinweg.
Gefördert werden exzellente Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler, die ihr eigenes Forschungsprojekt konzipiert haben und zu dessen Bearbeitung ihre Arbeitsgruppe aufbauen können. Engagierte Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden ermutigt, den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Versorgungsforschung zu unterstützen.
Register für die Versorgungsforschung
Patientenbezogene Register sind besonders gut dazu geeignet, das Versorgungsgeschehen unter Routinebedingungen zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Sie zeigen, welchen Einfluss verschiedene Versorgungsangebote auf den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität der Betroffenen haben. Darüber hinaus geben sie Aufschlüsse über die Qualität der Behandlung in verschiedenen Einrichtungen und Versorgungssektoren. 2019 begann die Anschubförderung zum Aufbau und zur Implementierung der Register und Bearbeitung der wissenschaftlichen Fragestellungen.
Palliativversorgung
Die zentrale Aufgabe der Palliativversorgung ist die Begleitung sterbender Menschen und ihrer Bezugspersonen. Die Betreuung soll die bestmögliche Lebensqualität für Patientinnen und Patienten erreichen. Viele Forschungsfragen sind hinsichtlich der Wirkung von Versorgungsmodellen noch nicht beantwortet. Auch der Kontrolle körperlicher Symptome, wie zum Beispiel Schmerz und Erschöpfung und der Einbindung von Patientinnen und Patienten sowie der Pflegenden und Angehörigen kommt dabei eine große Bedeutung zu. Seit 2017 fördert das BMBF Versorgungsforschungsprojekte und klinische Studien sowie Projekte des wissenschaftlichen Nachwuchses in diesem Bereich. Dadurch wird ein international sichtbarer Beitrag für die Forschung in der Palliativversorgung, zur Verbesserung und Evidenzbasierung der Therapieverfahren sowie für eine bessere Qualität der Forschung geleistet.
Transferorientierte Versorgungsforschung
Damit Forschungsergebnisse in der Praxis ankommen, müssen alle an der Versorgung Beteiligten von den Ergebnissen überzeugt sein: die Leistungserbringer (Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und viele mehr) und insbesondere auch die Kostenträger (zum Beispiel Krankenversicherung und Rentenversicherungsträger). Aus der Digitalisierung von Dienstleistungen und Produktion erwachsen vielfältige Herausforderungen, auch hinsichtlich der Rehabilitation bei Erwerbstätigen. Das BMBF und die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) fördern daher ab 2019 gemeinsam die Stärkung der Versorgungsforschung in der Rehabilitation und deren Ergebnistransfer. Es sollen wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu einer bedarfsgerechten Rehabilitation im Versorgungsalltag und zum Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis generiert werden.
Innovationsfonds soll neue Versorgungsmodelle ermöglichen
Die Bundesregierung hat darüber hinaus den Innovationsfonds als gesundheitspolitisches Instrument geschaffen, um neue Versorgungsmodelle entwickeln zu können. Seit 2016 werden mit dem Innovationsfonds beim Gemeinsamen Bundesausschuss innovative, sektorenübergreifende Versorgungsprojekte und Vorhaben der praxisnahen Versorgungsforschung substanziell gefördert. Mit dem Fonds wird ein besonders umsetzungsnaher Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung geleistet, der sich auch auf die Ergebnisse der Gesundheitsforschung stützt und diese Erkenntnisse mit Blick auf die Regelversorgung nutzt und bewertet. Der Innovationsfonds umfasst für die Jahre 2016 bis 2019 jeweils 300 Millionen Euro. Dabei stehen jeweils 75 Millionen Euro für die Förderung von Versorgungsforschungsprojekten und 225 Millionen Euro für die Förderung von Projekten zu neuen Versorgungsformen zur Verfügung. Die Mittel für den Fonds werden von den gesetzlichen Krankenkassen und aus dem Gesundheitsfonds getragen. Das BMBF ist als Mitglied des Innovationsausschusses in die Förderentscheidung mit eingebunden.
Ressortforschung des Bundesministeriums für Gesundheit
Die Versorgungsforschung spielt auch in der Ressortforschung des Bundesministeriums für Gesundheit eine zentrale Rolle. Bereits bei der Auswahl der Forschungsvorhaben wird im Interesse der Nachhaltigkeit auf die spätere praktische Umsetzung und mögliche Verstetigung der Ergebnisse und insbesondere deren Umsetzung in die Regelversorgung geachtet. Hierbei werden auch die praktischen Erfahrungen und die Problemlösungskompetenz von Ärztinnen und Ärzten und des medizinischen Fachpersonals sowie von Patientenvertretungen genutzt. Im Bereich der Langzeitpflege fördert das Bundesministerium für Gesundheit eine Vielzahl von Projekten zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen.