LeMeDaRT: Stadt, Land, Datenfluss

Von Altensteig über Ebhausen bis Wildberg: Der Digitale Fortschrittshub LeMeDaRT will die medizinische Versorgung der Menschen im Schwarzwald in Beispielanwendungen durch nutzerorientierte Datenvernetzung verbessern.

Ein Mann und eine Ärztin sprechen über einen Videoanruf miteinander.

Ziel des Digitalen FortschrittsHUBs LeMeDaRT ist es, die ambulante und stationäre Versorgung enger miteinander zu verzahnen.

Kaspars Grinvalds/AdobeStock

Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Digitale Fortschrittshub LeMeDaRT (Lean medical data: the right data at the right time) zeigt auf, wie die Digitalisierung in der Medizin die Versorgung auch in abgelegenen Regionen des ländlichen Raumes verbessern kann – und was das Ganze mit Smartphones zu tun hat. „Im Mittelpunkt unseres Projektes steht der Mensch auf seiner ganz individuellen Gesundheits-Reise. Gerade auf dem Land ist der Weg bis zur nächsten Arztpraxis oft weit. In drei Anwendungsfällen wollen wir den Datenfluss zwischen der Versorgung vor Ort und der Spitzenmedizin in beiden Richtungen optimieren. Die richtige Information am richtigen Ort zur richtigen Zeit – das bleibt in der Medizin eine große Herausforderung“, beschreibt Verbundkoordinator Prof. Dr. Joachim E. Fischer von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg den Forschungsansatz von LeMeDaRT.

Medizininformatik unterstützt ein neues Netzwerk der kurzen Wege

Prof. Dr. Joachim E. Fischer

Prof. Dr. Joachim E. Fischer ist Direktor des Zentrums für Präventivmedizin und Digitale Gesundheit Baden Württemberg (CPD-BW) an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg und Koordinator von LeMeDaRT.

Universität Heidelberg/Tobias Schwerdt

Doch nicht nur die Patientinnen und Patienten können von der Umsetzung der Medizininformatik-Initiative in die Praxis durch die Digitalen Fortschrittshubs profitieren: Alle Akteure des Gesundheitswesens der Zukunft sollen auf kurzem Wege auf die richtigen Daten zur richtigen Zeit zugreifen können. Hierzu zählen beispielsweise ambulant arbeitende medizinische Fachkräfte, die die Symptome schwer kranker Betroffener in der Praxis oder beim Hausbesuch besser überwachen können. Durch eine intelligente Selbstdokumentation können zudem Patientinnen und Patienten aktiv am Präventions- oder Heilungsprozess teilhaben. Denn, so Fischer: „Ein Smartphone hat heute fast jeder.“ Im Hintergrund arbeitet dabei Künstliche Intelligenz (KI) auf den in der Medizininformatik-Initiative entwickelten Plattformen – selbstverständlich unter Wahrung des Datenschutzes.

Für die Kooperationspartner in den kleinen Orten und Gemeinden kann LeMeDaRT auf Vorarbeiten und auf die Vernetzung mit einer bereits bestehenden Kooperation zurückgreifen: Im Projekt AMBIGOAL erarbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Mannheim gemeinsam mit Kooperationspartnern, wie sich in ländlichen Gebieten wirtschaftlich tragfähige Gesundheitspraxen etablieren lassen. Digital gestützt sollen sie in einem patientenzentrierten und sektorenübergreifenden Ansatz die medizinische Versorgung verbessern.

Um die Ergebnisse der Medizininformatik-Initiative in der Fläche auszurollen und mögliche Stolpersteine auf dem Weg zur Umsetzung zu identifizieren, werden die Partner zunächst drei Anwendungsfälle untersuchen.

  • Vorbereitung und postoperative Begleitung von Krebspatientinnen und -patienten
    Wer eine schwere und komplexe Operation vor sich hat – etwa bei einer Krebserkrankung – sollte die Operation in einem bestmöglichen Zustand angehen. Das verbessert die Heilungschancen und vermindert die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen. Da komplexe Operationen in der Regel mit zeitlichem Vorlauf geplant werden, besteht vor der OP die Chance einer gezielten körperlichen und psychischen Stärkung der Betroffenen (Prähabilitation) – sowie nach der OP einer individualisierten Begleitung und Nachsorge. Dies erfordert die Kooperation und Koordination verschiedener Fachpersonen. Digitale Lösungen erleichtern es ihnen, sich gerade in der regionalen Zusammenarbeit in jedem Einzelfall abzustimmen. KI-Anwendungen der Medizininformatik-Initiative sollen ihnen helfen, ungünstige Entwicklungen einer Erkrankung und mögliche Komplikationen früher zu erkennen. „Der Hub gibt uns die Chance, für diesen Anwendungsfall exemplarisch die ambulante und stationäre Versorgung enger miteinander zu verzahnen. Durch individualisierte Interventionen – etwa durch eine digital unterstützte Prähabilitation – können wir die Versorgung verbessern“, sagt Fischer.
  • Infektionsüberwachung
    Der zweite Anwendungsfall greift zentrale Herausforderungen der Covid-19-Pandemie auf. Patientinnen und Patienten suchen bei Atemwegserkrankungen zunächst die Hausarztpraxis auf. Anhand der Anfangssymptome können Ärztinnen und Ärzte SARS-CoV-2-Infektionen jedoch kaum von grippalen Infekten unterscheiden. Die verschiedenen Mutationen der Pandemie und ihre unterschiedlichen Verläufe stellen sie vor weitere Herausforderungen. LeMeDaRT untersucht, ob digitale Lösungen – etwa in Kombination mit Testverfahren – die Versorgung an diesem Punkt handlungsleitend und pragmatisch verbessern können. Solche Konzepte könnten niedergelassene Ärztinnen und Ärzten bei künftigen Wellen respiratorischer Infektionen unterstützen. „Diese Lösungen sollen ihnen helfen, die Risiken ihrer Patientinnen und Patienten im aktuellen Infektionsgeschehen besser einzuschätzen “, so Fischer.
  • Prävention und frühe Intervention bei Lebererkrankungen
    Der dritte Anwendungsfall gilt der Prävention. So wie Bluthochdruck als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen lange unerkannt bleibt und kaum Symptome verursacht, bleibt auch die nichtalkoholische Fettlebererkrankung meist lange unentdeckt. Im mittleren Erwachsenenalter ist etwa jede fünfte Person betroffen. In einigen Fällen entwickelt sich die Erkrankung zu einer lebensbedrohlichen Leberzirrhose. Aktuell werden sowohl die Vorboten der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (z.B. erhöhte Laborwerte) als auch die lebensbedrohlichen Verläufe oft zu spät erkannt. Dadurch entgehen die Chancen, frühe Verläufe mit einer gesundheitsfördernden Ernährung und körperlicher Aktivität günstig zu beeinflussen. LeMeDaRT erprobt hier neue Präventionszugänge. In Zukunft könnten digitale Entscheidungshilfen (CDSS) niedergelassene Ärztinnen und Ärzten dabei unterstützen, zwischen den gut durch Präventionsmaßnahmen behandelbaren Fällen zu unterscheiden – und denjenigen, die eine rasche Beurteilung und Behandlung durch Fachärztinnen und -ärzte oder die universitäre Spitzenmedizin erfordern.

CDSS (Clinical Decision Support System) oder Klinische Entscheidungsunterstützungssysteme sind Softwaresysteme, die medizinische Informationen zusammentragen, analysieren, aufbereiten und präsentieren. Sie unterstützen Ärztinnen und Ärzte dabei, Krankheitsverläufe zu beurteilen und die jeweils bestmögliche Therapie zu wählen.

Die drei Anwendungsfälle von LeMeDaRT zeigen, dass nicht eine einzige digitale Anwendung alle Herausforderungen lösen kann. „Wir brauchen eine Kombination digital ermöglichter Prozessinnovationen, individualisierte Behandlungen und auch den gezielten Einsatz der Telemedizin. Sie fördert den Austausch zwischen verschiedenen Ebenen – etwa ländlichen Versorgern und medizinischen Zentren. Sie trägt dazu bei, medizinische Entscheidungen zu unterstützen und hilft, den Fachärztemangel im ländlichen Raum zu kompensieren. Für Betroffene bedeutet das kürzere Wege. Zugleich wird das Gesundheitssystem entlastet – etwa durch das Vermeiden von Doppeluntersuchungen“, so Fischer. „Unser Ziel: Wir wollen ein Netzwerk aufbauen, in das alle eingebunden sind.“

Partner im Digitalen FortschrittsHub LeMeDaRT


Koordination
  • Universität Heidelberg
    Abteilung für Biomedizinische Informatik, Medizinische Fakultät Mannheim
Beteiligtes Konsortium der Medizininformatik-Initiative
  • MIRACUM
Partner
  • Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät Mannheim
    Zentrum für Präventivmedizin und Digitale Gesundheit Baden-Württemberg (CPD-BW)
    Mannheimer Institut für Public Health, Sozial- und Präventivmedizin
    Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg (KTBW)
    Mannheimer Institut für Intelligente Systeme in der Medizin (MIISM)
    Institut für Klinische Chemie
    Medizinische Klinik II, Sektion für Hepatologie
    Chirurgische Klinik
  • Universität Heidelberg
    Institut für Wissenschaftliches Rechnen (IWR)
    Institut für Geschichte und Ethik der Medizin (Medizinische Fakultät Heidelberg)
    Diakoniewissenschaftliches Institut (Theologische Fakultät)
  • Regionalverband Nordschwarzwald, Pforzheim
  • Medizinisches Versorgungszentrum Calw/Mednos GmbH
  • BARMER Krankenkasse
  • KV Baden-Württemberg
  • HCI2 Health Care Innovation Institute GmbH
  • HealthVision GmbH
  • SHE AG
  • Deutsche Leberhilfe

LeMeDaRT ist einer der sechs 2021 gestarteten Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit. Für diese Leitinitiative seiner Digitalstrategie stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2025 rund 50 Millionen Euro bereit. Aufgabe der FortschrittsHubs ist es, die Pionierarbeiten der Medizininformatik-Initiative zur Digitalisierung in der Medizin aus den Unikliniken – zunächst in Pilotprojekten – in alle Bereiche des Gesundheitssystems einfließen zu lassen: von der ambulanten Versorgung in der Hausarztpraxis über den stationären Aufenthalt im örtlichen Krankenhaus bis zur Versorgung in Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen.

Medizininformatik-Initiative

Digitale FortschrittsHubs Gesundheit