14.03.2022

| Aktuelle Meldung

Long-COVID und Atemnot: Forschende arbeiten an zuverlässigen Screening-Methoden

Atemnot gehört zu den häufigsten Spätfolgen einer COVID-19-Erkrankung. Ein an der Universitätsmedizin Gießen koordinierter Forschungsverbund will bessere Diagnosemöglichkeiten finden und einen Behandlungsansatz mit einem Inhalationsspray prüfen.

Patientin, die sich die Hand auf den Brustkorb legt, spricht mit einer Ärztin

Atemnot gehört zu den häufigsten Spätfolgen einer Infektion mit SARS-CoV2 – etwa jeder dritte von Long-COVID Betroffene berichtet von Beschwerden, die über mehrere Wochen oder gar Monate anhalten.

Image Point Fr/Shutterstock.com

Allgemeine Kurzatmigkeit, Beklemmungsgefühle im Brustkorb, Luftnot in Belastungssituationen: Auch nach Abklingen einer akuten COVID-19-Erkrankung berichten viele Betroffene von andauernden Atembeschwerden, in der Fachsprache Dyspnoe genannt. Dies gilt sowohl für schwere als auch für milde Krankheitsverläufe. Bei schweren Krankheitsverläufen kann es zudem zu massiven Gewebeschäden und einem Umbau der feinen Blutgefäße in der Lunge kommen.

Noch sind diese Mechanismen nicht vollständig geklärt, doch gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Verbundvorhaben PulmVask-Covid-ISIE davon aus, dass durch SARS-CoV-2 verursachte Veränderungen der Lungengefäße für die anhaltenden Atemprobleme verantwortlich sind. „Krankhaft erweiterte oder verengte Gefäße in der Lunge sowie Blutgerinnsel können zu einer unregelmäßigen Blutverteilung und Lungenhochdruck führen“, erklärt Dr. Natascha Sommer, Oberärztin an der Medizinischen Klinik II der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Das Problem bei der Diagnose: Der Nachweis einer krankhaften Veränderung der Lungengefäße lässt sich vor allem im Anfangsstadium, d. h. bei fehlenden Anzeichen für Lungenhochdruck, nur eingeschränkt führen. „Eine zuverlässige Screeningmethode oder therapeutische Ansätze sind aktuell nicht verfügbar; insbesondere für diese Patientinnen und Patienten wollen wir bessere Diagnosemöglichkeiten finden,“ so Sommer. Die Pneumologin koordiniert das Verbundprojekt, an dem die Berliner Charité, die Medizinische Hochschule Hannover und die Ludwigs-Maximilians-Universität München beteiligt sind. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 756.000 Euro gefördert.

Beobachtungsstudie soll Behandlung mit Inhalationsspray überprüfen

Wichtigstes Ziel der Forschenden ist es zunächst, einfach anwendbare diagnostische Parameter für krankhaft veränderte Lungengefäße zu identifizieren, z. B. Parameter, die die Sauerstoffaufnahme der Lunge charakterisieren. Im Rahmen einer Beobachtungsstudie soll zudem eine Behandlung mit einem inhalativen Medikament erprobt werden, das den Gasaustausch in der Lunge und eine Erweiterung der Blutgefäße unterstützt. „Die Erkenntnisse aus dieser Studie können bei der Erstellung von diagnostischen Algorithmen helfen, mit denen sich jene Patientinnen und Patienten identifizieren lassen, bei denen es noch keine offenkundigen Anzeichen für krankhafte Gefäßveränderungen gibt“, erklärt Sommer. „Sie könnten von der von uns entwickelten Therapie, die wir in kontrollierten klinischen Studien weiter prüfen wollen, besonders profitieren.“

Die Ergebnisse aus dem Forschungsvorhaben sollen in Handlungsempfehlungen für Ärztinnen und Ärzte in den Hochschulambulanzen, aber auch im niedergelassenen Bereich einfließen. „Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Zahl von Long-COVID-Betroffenen ist eine solche kosteneffektive und einfache Diagnostik dringend notwendig“, so Sommer.

Die Justus-Liebig-Universität Gießen wird die zentrale Studienplanung, Datenerhebung und -auswertung durchführen, an denen sich die Verbundpartner in Berlin, Hannover und München beteiligen. Für ihre Untersuchungen greifen die Forschenden auf Patientendaten aus der bereits etablierten NAPKON-Kohorte zurück, ein Forschungsvorhaben im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM). Dieses Netzwerk wurde im April 2020 als Teil des Krisenmanagements zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie gegründet; an ihm sind alle Universitätskliniken Deutschlands beteiligt.

Informationen zum Vorhaben PulmVask-Covid-ISIE – Pulmonalvaskuläre Dysfunktion als therapeutischer Ansatzpunkt bei persistierender Belastungsdyspnoe nach COVID-19

Förderschwerpunkt:
Forschungsvorhaben zu Spätsymptomen von COVID-19 (Long-COVID)

Fördersumme: 756.000 Euro

Förderzeitraum: 01.01.2022–30.06.2023

Verbundleitung:
PD Dr. Natascha Sommer
Justus-Liebig-Universität Gießen
Fachbereich Medizin
Medizinische Klinik II
ECCPS/CPI
Aulweg 130
35392 Gießen
+49 641 99-42471
natascha.sommer@innere.med.uni-giessen.de

Verbundpartner:
Prof. Dr. Martin Witzenrath, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie

Prof. Dr. Tobias Welte, Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Pneumologie

Dr. Katrin Milger-Kneidinger, Ludwigs-Maximilians-Universität München, Medizinische Klinik und Poliklinik V

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Erforschung der Spätsymptome von COVID-19 (Long-COVID) im Rahmen einer im Mai 2021 veröffentlichten Förderbekanntmachung. Der Förderaufruf richtete sich an interdisziplinäre Forschungsverbünde; insgesamt sind hierfür bis zum Jahr 2024 bis zu 6,5 Millionen Euro vorgesehen. Die Maßnahme zielt darauf ab, den verfügbaren wissenschaftlichen Kenntnisstand möglichst zeitnah zu erschließen, weiterzuentwickeln und für die Anwendung in der Praxis zugänglich zu machen. Der Förderschwerpunkt ergänzt die bisherigen Maßnahmen, die sich mit der Erforschung von SARS-CoV-2 / COVID-19 und der Therapie der akuten Erkrankung befassen.

Von besonderem Interesse sind die Auswertung von Patientendaten und Proben bestehender Kohorten, die Charakterisierung der Symptome, die Erforschung der Pathophysiologie sowie die (Weiter-)Entwicklung von diagnostischen und therapeutischen Konzepten sowie von multidisziplinären und multiprofessionellen Versorgungsangeboten.

Mehr Infos: Förderung von Forschungsvorhaben zu Spätsymptomen von COVID-19 (Long-COVID)