Humane Embryonen in der medizinischen Forschung: Tabu? – Vertretbar? – Chance?

Forschung an frühen Embryonen und Zellstrukturen aus dem Labor bietet neue Perspektiven für Gesundheitsforschung und Medizin. Gleichzeitig stellen sich ethische Fragen. Eine vom BMBF ausgerichtete Fachkonferenz diente kritischer Reflexion und Debatte.

Logo der Tagung Humane Embryonen in der medizinischen Forschung

Die Fachkonferenz am 9. und 10. Oktober 2023 in Berlin verfolgte das Ziel, die Perspektiven der modernen Medizin im Hinblick auf die Forschung mit frühen humanen Embryonen in vitro und anderen neuartigen Zellstrukturen in wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Hinsicht neu zu reflektieren. Sie zeigte die wissenschaftlichen Möglichkeiten und Perspektiven für die verschiedenen Bereiche der medizinischen Forschung auf, stellte internationale Ansätze, unterschiedliche Sichtweisen sowie Rahmenbedingungen dar und gab so neue Impulse für die Diskussion der ethischen und rechtlichen Fragen.

Lesen sie hier den Bericht zur Fachkonferenz

Sollte das Potenzial der Forschung auch in Deutschland erschlossen und nutzbar gemacht werden?

Die Verwendung von humanen Embryonen, humanen embryonalen bzw. pluripotenten Stammzellen sowie einer Reihe von im Labor generierten Zellen und Zellgebilden wie zum Beispiel Organoide, oder Embryoide, ermöglicht es, viele offene Fragen im Bereich der medizinisch-biologischen Grundlagenforschung, der angewandten medizinischen Forschung, der personalisierten und regenerativen Medizin sowie der Reproduktionsmedizin zu untersuchen.

Daraus ergeben sich Herausforderungen für den ethischen Diskurs und die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die in Deutschland derzeit vor allem durch das Embryonenschutzgesetz und das Stammzellgesetz bestimmt werden: Wie kann das Potenzial der Forschung erschlossen und nutzbar gemacht und gleichzeitig ethischen und rechtlichen Bedenken Rechnung getragen werden?

Forschung mit humanen Embryonen

Viele Methoden der modernen Lebenswissenschaften (wie etwa die Genom-Editierung, Hochdurchsatzverfahren und Einzelzellanalyse) eröffnen der Embryonenforschung völlig neue Erkenntnisdimensionen. Dies ist insbesondere für die regenerative und personalisierte Medizin sowie für die Behandlung von Erbkrankheiten und Volkskrankheiten wie Diabetes, Arthrose, Herzinfarkt oder Schlaganfall sowie Krebs von hoher Bedeutung. Gleichzeitig ist die frühe Embryonalentwicklung des Menschen noch immer in Teilen ungeklärt, insbesondere mit Blick auf die Entstehung von Entwicklungsstörungen und ihre Ursachen. Aufgrund der Regelungen des deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESchG) ist die Forschung an und mit humanen Embryonen in Deutschland ebenso wie die Beteiligung an entsprechenden Vorhaben im Ausland grundsätzlich verboten.

Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen)

Wesentliche Erkenntnisse zu Volkskrankheiten können durch die Erforschung und Nutzung humaner embryonaler Stammzellen (hES-Zellen) generiert werden. Gleichzeitig bietet diese Forschung die Möglichkeit Therapieansätze zu entwickeln.

Von Seiten der in Deutschland tätigen Stammzellforscher und Stammzellforscherinnen wird zunehmend kritisch angemerkt, dass hierfür nur Zelllinien zur Verfügung stehen, welche im Ausland vor dem 1. Mai 2007 erzeugt wurden. Diese seien für zeitgemäße Forschung nur bedingt geeignet, da die Zelllinien z.T. unterschiedliche genetische und epigenetische Abweichungen angehäuft hätten, in veralteten Medien kultiviert wurden und teilweise mit Krankheitserregern kontaminiert sein könnten. Für klinische Studien seien sie somit praktisch ungeeignet. Ferner wurde von Forschenden in diesem Zusammenhang der im Stammzellgesetz enthaltene Forschungsvorbehalt, d.h. das Verbot der Nutzung von hES-Zellen außerhalb des Forschungskontextes, wiederholt im Hinblick auf seine negativen Effekte für die Entwicklung von neuartigen Therapien im deutschen Forschungsraum problematisiert.

Forschung mit im Labor gewonnenen humanen Zellgebilden

Die Forschung mit pluripotenten Stammzellen ist auch auf die Entwicklung von im Labor gewonnenen humanen Zellgebilden gerichtet, die ihren natürlichen „Vorbildern“ im Hinblick auf ihr Entwicklungspotenzial zunehmend ähneln (Organoide, künstliche Ei-/Samenzellen, embryoähnliche Strukturen). Die bisherigen Regelungen sind für solche Zellgebilde nicht konzipiert worden.

Stellungnahmen aus der Wissenschaft sowie von Ethik- bzw. Sachverständigengremien (insbesondere der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Bundesärztekammer, des Deutschen Ethikrates und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, BBAW) haben in den vergangenen Jahren die Potenziale und Herausforderungen im Hinblick auf die Stammzell- und Embryonenforschung aufgezeigt und die in vielen anderen Ländern bestehenden Forschungsmöglichkeiten und deren Weiterentwicklung dargestellt.

Insbesondere die Stellungnahme der Leopoldina „Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland“ (2021) verdeutlicht die große Bedeutung für weite Gebiete der medizinisch-biologischen Forschung, von der entwicklungsbiologischen Grundlagenforschung und der Fortpflanzungsmedizin bis hin zur regenerativen und personalisierten Medizin. Diese legt auch dar, unter welchen Bedingungen nicht mehr anderweitig verwendete, „überzählige“ Embryonen auch in Deutschland im Rahmen von geordneten und transparenten Verfahren für hochrangige Forschungsziele genutzt werden könnten.

Bestehender Rechtsrahmen setzt der Forschung enge Grenzen

Durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) und das Stammzellgesetz (StZG) sind neben der Forschung an und mit humanen Embryonen eine Reihe der in der internationalen medizinischen Forschung unter Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen genutzten Verfahren in Deutschland grundsätzlich verboten oder werden von den bestehenden – vor Jahrzehnten entwickelten – Rechtsnormen nicht eindeutig adressiert. Dadurch werden die Erforschung und Entwicklung neuer Behandlungsmethoden und Therapeutika in Deutschland erschwert, mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet oder teilweise auch unmöglich gemacht. Darüber hinaus wird die internationale Zusammenarbeit deutscher Forschender rechtlich und praktisch eingeschränkt. Damit verlieren deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem spezifischen Feld den Anschluss an die internationale Forschung.

Impulse für die Forschung und eine breite gesellschaftliche Debatte

Es besteht ein breiter Konsens, unabhängig von gesetzlichen Einschränkungen bzw. Verboten, die internationalen Forschungsergebnisse in Deutschland nicht erlaubter Verfahren gleichwohl für medizinische Forschung und Behandlung zu nutzen.

So dürfen die auf Embryonenforschung im Ausland beruhenden Methoden und Verbesserungen der Fortpflanzungsmedizin – soweit erlaubt – auch in Deutschland genutzt werden. Darüber hinaus dürfen beispielsweise humane embryonale Stammzellen nicht in Deutschland gewonnen werden, jedoch dürfen Forschende solche verwenden, die vor dem 1. Mai 2007 im Ausland gewonnen wurden.

Vor dem Hintergrund der dynamischen wissenschaftlichen Entwicklungen in diesem Bereich sollte die Konferenz neue Impulse für einen bioethischen Diskurs erarbeiten, um den Bedarfen der Forschung und medizinischen Anwendung sowie den damit verbundenen rechtlichen und ethischen Belangen gleichermaßen gerecht zu werden.

Das BMBF versteht die Fachkonferenz als Beitrag dazu, neue Einsichten in frühe Formen des menschlichen Lebens zu gewinnen und Impulse für eine zeitgemäße medizinische Forschung und den rechtlich-ethischen Diskurs zu setzen. Zugleich sollen die gewonnenen Erkenntnisse einen informierten und breiten gesellschaftlichen Austausch ermöglichen.

ELSA-Forschung

Die dynamischen Entwicklungen in den modernen Lebenswissenschaften führen zu neuen Chancen und Perspektiven für die Forschung und für den Menschen. Sie werfen aber auch neue Fragen auf, die im gesellschaftlichen Austausch geklärt werden müssen. Diesen Dialog über Fachdisziplinen hinweg fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über die ELSA-Forschung, die sich mit ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten („Ethical, Legal and Social Aspects“) aktueller Fortschritte in den modernen Lebenswissenschaften auseinandersetzt. Ziel der ELSA-Forschung ist es, die mit Erkenntnissen der modernen Lebenswissenschaften verbundenen Chancen und Risiken zu erkennen, zu bewerten und Handlungsoptionen zu entwickeln. Das BMBF hat die Bedeutung der ELSA-Forschung früh erkannt. Seit 1997 fördert das Ministerium die ELSA-Forschung programmatisch, derzeit mit rund 4,5 Millionen Euro pro Jahr.

Vortragende