Humane Embryonen in der medizinischen Forschung: Tabu? – Vertretbar? – Chance?

Forschung an frühen Embryonen und Zellstrukturen aus dem Labor bieten neue Perspektiven für Forschung und Gesundheit. Gleichzeitig werden ethische Fragen aufgeworfen. Eine vom BMBF ausgerichtete Fachkonferenz dient kritischer Reflexion und Debatte.

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Die Fachkonferenz (9.-10. Oktober 2023 in Berlin)  verfolgt das Ziel, die Perspektiven der modernen Medizin im Hinblick auf die Forschung mit überzähligen Embryonen und anderen neuartigen Zellstrukturen in wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Hinsicht neu zu reflektieren. Sie soll die wissenschaftlichen Möglichkeiten und Perspektiven für die verschiedenen Forschungsbereiche der Medizin aufzeigen, andere internationale Aspekte, Sichtweisen sowie Rahmenbedingungen darstellen und die Grundlagen für die Diskussion der ethisch-rechtlichen Fragen verbessern.

Zur Konferenz werden bis zu 400 Teilnehmende aus dem In- und Ausland aus Wissenschaft, Gesellschaft und Politik erwartet.

vorläufiges Programm in deutscher Sprache

vorläufiges Programm in englischer Sprache

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Stand: 03/2023]

ELSA-Forschung

Die dynamischen Entwicklungen in den modernen Lebenswissenschaften führen zu neuen Chancen und Perspektiven für die Forschung und für den Menschen. Sie werfen aber auch neue Fragen auf, die im gesellschaftlichen Austausch geklärt werden müssen. Diesen Dialog über Fachdisziplinen hinweg fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über die ELSA-Forschung, die sich mit ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten („Ethical, Legal and Social Aspects“) aktueller Fortschritte in den modernen Lebenswissenschaften auseinandersetzt. Ziel der ELSA-Forschung ist es, die mit Erkenntnissen der modernen Lebenswissenschaften verbundenen Chancen und Risiken zu erkennen und zu bewerten. Das BMBF hat die Bedeutung der ELSA-Forschung früh erkannt. Seit 1997 fördert das Ministerium die ELSA-Forschung programmatisch, derzeit mit rund 4,5 Millionen Euro pro Jahr.

Wie kann das Potenzial der Forschung erschlossen und nutzbar gemacht werden?

Die Verwendung von humanen Embryonen, humanen embryonalen, bzw. pluripotenten Stammzellen sowie einer Reihe von im Labor generierten Zellen und Zellgebilden wie zum Beispiel Organoiden, Embryoiden oder Chimären, ermöglicht weiterführende Forschungen im Bereich der medizinisch-biologischen Grundlagenforschung, der angewandten medizinischen Forschung, der personalisierten und regenerativen Medizin sowie der Reproduktionsmedizin.

Daraus ergeben sich Herausforderungen für den ethischen Diskurs und die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die in Deutschland derzeit durch das Embryonenschutzgesetz und das Stammzellgesetz bestimmt werden: Wie kann das Potenzial der Forschung erschlossen und nutzbar gemacht und gleichzeitig ethischen und rechtlichen Bedenken Rechnung getragen werden?

Forschung mit humanen Embryonen

Viele Methoden der modernen Lebenswissenschaften (wie etwa die Genom-Editierung, Omics- und Einzelzellanalyse) eröffnen der Embryonenforschung völlig neue Erkenntnisdimensionen. Dies ist insbesondere für die regenerative und personalisierte Medizin sowie für die Behandlung von Erbkrankheiten und Volkskrankheiten wie Diabetes, Arthrose, Herzinfarkt oder Schlaganfall sowie Krebs von hoher Bedeutung. Gleichzeitig ist die frühe Embryonalentwicklung des Menschen noch immer in Teilen ungeklärt, insbesondere mit Blick auf die Entstehung von Entwicklungsstörungen und ihren Ursachen. Aufgrund der Regelungen des deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESchG) ist die Forschung an humanen Embryonen in Deutschland ebenso wie die Beteiligung an entsprechenden Vorhaben im Ausland grundsätzlich verboten.

Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen)

Wesentliche Erkenntnisse zu Volkskrankheiten können durch die Erforschung und Nutzung humaner embryonaler Stammzellen (hES-Zellen) generiert werden.

Von Seiten der in Deutschland tätigen Stammzellforscher und Stammzellforscherinnen wird zunehmend kritisch angemerkt, dass die derzeit nach dem Stammzellgesetz (StZG) in Deutschland zur Verfügung stehenden, vor dem Stichtag 1. Mai 2007 im Ausland gewonnenen hES-Zelllinien sind hierfür nur bedingt geeignet sind, da sie z.T. unterschiedliche genetische und epigenetische Abweichungen angehäuft haben, in veralteten Medien kultiviert wurden und teils mit Krankheitserregern kontaminiert sein könnten. Das mache sie für die zeitgemäße Forschung in klinischen Studien praktisch ungeeignet. Ferner wurde von Forschenden in diesem Zusammenhang der im Stammzellgesetz enthaltene Forschungsvorbehalt, d.h. das Verbot der Nutzung von hES-Zellen außerhalb des Forschungskontextes, wiederholt im Hinblick auf seine negativen Effekte für die Entwicklung von neuartigen Therapien im deutschen Forschungsraum problematisiert; die Regelung sei daher zu überprüfen.

Forschung mit im Labor gewonnenen humanen Zellgebilden

Die Forschung mit pluripotenten Stammzellen ist auch auf die Entwicklung von im Labor gewonnenen humanen Zellgebilden gerichtet, die ihren natürlichen „Vorbildern“ im Hinblick auf ihr Entwicklungspotenzial zunehmend ähneln (Organoide, künstliche Ei-/Samenzellen, embryoähnliche Strukturen). Diese Zellgebilde werden vom Gesetz nicht in Gänze erfasst und reguliert. Unter den Vorgaben und Begriffsbestimmungen des seit über 30 Jahren geltenden Embryonenschutzgesetzes (ESchG) ist diese Forschung in Deutschland kaum noch nach dem internationalen Stand der Wissenschaft durchzuführen.

Die Fachkonferenz wird die sich daraus ergebenden Herausforderungen für den ethischen Diskurs und die rechtlichen Rahmenbedingungen adressieren und mögliche Perspektiven für Anpassungen des Rechts der Reproduktionsmedizin, des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellgesetzes diskutieren.

Stellungnahmen aus der Wissenschaft sowie von Ethik- bzw. Sachverständigengremien (u. a. der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Bundesärztekammer, des Deutschen Ethikrates und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, BBAW) haben in den vergangenen Jahren die Potenziale und Herausforderungen im Hinblick auf die Stammzell- und Embryonenforschung aufgezeigt und insbesondere auch die in vielen anderen Ländern bestehenden Forschungsmöglichkeiten und deren Weiterentwicklung dargestellt. Gleichzeitig legen sie dar, unter welchen Bedingungen nicht mehr anderweitig verwendete, sogenannte „überzählige“ Embryonen auch in Deutschland im Rahmen von geordneten und transparenten Verfahren für hochrangige Forschungsziele genutzt werden könnten. Insbesondere die Stellungnahme der Leopoldina „Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland“ (2021) verdeutlicht die große Bedeutung für weite Gebiete der medizinisch-biologischen Forschung, von der Grundlagenforschung / Entwicklungsbiologie und der Fortpflanzungsmedizin bis hin zur regenerativen und personalisierten Medizin.

Bestehender Rechtsrahmen setzt der Forschung enge Grenzen

Durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) und das Stammzellgesetz (StZG) sind neben der Forschung an und mit humanen Embryonen eine Reihe der in der internationalen medizinischen Forschung unter Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen genutzten Verfahren in Deutschland grundsätzlich verboten oder werden von den bestehenden – vor Jahrzehnten entwickelten – Rechtsnormen erfasst. Dadurch werden die Erforschung und Entwicklung neuer Behandlungsmethoden und Therapeutika in Deutschland erschwert, mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet oder teilweise auch unmöglich gemacht. Darüber hinaus wird die internationale Zusammenarbeit deutscher Forschender rechtlich und praktisch eingeschränkt. Damit verlieren deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem spezifischen Feld den Anschluss an die internationale Forschung.

Embryonenschutzgesetz (ESchG)

Das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) regelt die In-Vitro-Erzeugung und anschließende Verwendung menschlicher Embryonen: So sollen diese vor den mit assistierten Reproduktionstechniken verbundenen Risiken geschützt werden. Zudem liegt dem Gesetz der Gedanke zugrunde, den sozialen Schutz des durch extrakorporale Techniken erzeugten Individuums etwa vor einer „gespaltenen Mutterschaft“ im Falle von Leihmüttern oder der Eizellspende, einer posthumen Fertilisation oder einer absichtlich verursachten Veränderung des Genoms zu gewährleisten. Schließlich enthält das ESchG auch weitere wichtige Schutzregelungen, insbesondere das Verbot der Fremdnützigen Embryonenforschung, der Herstellung von Embryonen und des Klonens.

Stammzellgesetz (StZG)

Mit dem Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit der Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) hat der deutsche Gesetzgeber 2002 einen Themenbereich geregelt, der vom Embryonenschutzgesetz (ESchG) bis dahin nicht erfasst war: den Import und die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen (hES-Zellen), die aus überzähligen Embryonen im Ausland gewonnen wurden. Der von vielen Parlamentariern als unbeabsichtigte Regelungslücke angesehene Sachverhalt wurde deshalb auf eine eigene gesetzliche Grundlage gestellt. Das StZG ermöglicht den in Deutschland tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen unter restriktiven Voraussetzungen, ohne den durch das Embryonenschutzgesetz gewährleisteten Schutz menschlicher Embryonen einzuschränken.

Impulse für die Forschung und eine breite gesellschaftliche Debatte

Es besteht ein breiter Konsens, unabhängig von den dargestellten Einschränkungen bzw. Verboten, die internationalen Forschungsergebnisse der in Deutschland nicht erlaubten Verfahren gleichwohl für medizinische Forschung und Behandlung zu nutzen.

So dürfen die auf Embryonenforschung im Ausland beruhenden Methoden und Verbesserungen der Fortpflanzungsmedizin – soweit erlaubt – auch in Deutschland genutzt werden. Darüber hinaus dürfen beispielsweise humane embryonale Stammzellen nicht in Deutschland gewonnen werden, jedoch dürfen Forschende solche verwenden, die vor dem 1. Mai 2007 im Ausland gewonnen wurden.

Mit der Konferenz möchte das BMBF vor dem Hintergrund der dynamischen wissenschaftlichen Entwicklungen in diesem Bereich die Grundlagen für einen qualifizierten bioethischen Diskurs erarbeiten, um den Bedarfen der Forschung und medizinischen Anwendung sowie den damit verbundenen rechtlichen und ethischen Belangen gleichermaßen gerecht zu werden.

Die vom BMBF ausgerichtete Fachkonferenz soll dazu beitragen, neue Einsichten in frühe Formen des menschlichen Lebens zu gewinnen und Impulse für eine zeitgemäße medizinische Forschung und den rechtlich-ethischen Diskurs zu setzen. Zugleich soll damit ein informierter und breiter gesellschaftlicher Austausch ermöglicht werden.


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